Die Feiertagsmatinee am 15. August im Großen Festspielhaus in Salzburg war traditionell der Termin, wo Herbert von Karajan die Wiener Philharmoniker im Konzert dirigiert hatte. Nach seinem Tod hat diesen Termin Riccardo Muti übernommen und mittlerweile sind aus einem nunmehr drei ausverkaufte Orchesterkonzerte um Ferragosto geworden.
Dieses Jahr hat Muti, zu Recht einer der ausgewiesenen Lieblingsdirigenten der Wiener Philharmoniker, ein für das Publikum wie für die Ausführenden höchst anspruchsvolles Programm ausgewählt. Vor der Pause erklingen aus den späten, zwischen 1889 und 1897 entstandenen „Quattro pezzi sacri“ von Giuseppe Verdi Stabat Mater und Te Deum, durch und durch geistliche Kompositionen mit sinnlichem Eindruck, die aber eher im Konzertsaal als in der Kirche heimisch geworden sind. Im Verein mit der Konzertvereinigung Wiener Staatsopernchor, einstudiert von Huw Rhys James, die am Vormittag des 13. August 2023 vor allem durch mächtige Tenöre und profunde Bässe besticht, ziehen Maestro Muti und das in allen Instrumentengruppen blendend disponierte Orchester alle Fäden der Gestaltungskunst bei der Wiedergabe der beiden Werke. Die zeitweise an gregorianische Choräle und Chormusik von Palestrina und Monteverdi gemahnenden Stücke erstrahlen in wunderbarem al fresco-Glanz, die Chöre bestechen geradezu durch Plastizität wie Intensität. Und die junge, zum Schluss im Te Deum kurz zum Einsatz kommende Sopranistin Serafina Starke macht ihre Sache gut und wird sich an ihr erstes Auftreten mit Maestro Muti gewiss ihr Leben lang erinnern.
Nach der Pause steht dann Anton Bruckners zwischen 1881 und 1883 entstandene VII. Symphonie auf dem Programm, eines der beliebtesten Werke des Meisters, das seinen späten Durchbruch zum Weltruhm bedeutete. Riccardo Muti nimmt sich dafür Zeit. Sehr viel Zeit. Hin und wieder gar zu viel Zeit. Wer aber bereit ist, sich auf seine Gangart einzulassen und genau hinzuhören, wird in diesen 75 Minuten, in denen sich das Werk entfaltet, an diesem Vormittag aufs Reichste beschenkt. Richtigerweise wählt der Dirigent die Orchesteraufstellung mit den zweiten hinter den ersten Geigen und den Celli hinter den Bratschen: Nur so können sich in der Coda im ersten wie im vierten Satz Bratschen und Celli gegen das schon flirrend extatische Tremolo der Violinen – so hört man das beinahe nie – durchsetzen. Phrasierungen, Übergänge, aufgebaute Steigerungen gelingen Muti aus einem Guss, aus einem nie versiegenden Fluss; Spannungsbögen baut er langgezogen auf, kann diese meisterhaft halten, dass nicht einmal im Ansatz einer davon abzureißen droht und es wäre geradezu beckmesserisch zu erwähnen, dass das martialisch Zwingende von Bruckners Musik bei dieser Gangart nicht im Vordergrund steht, sondern organisch fließende Übergänge. Geprägt ist diese Wiedergabe von einem schon luxuriös zu nennenden Schönklang des Orchesters, ja man muss von einer beinahe vollendeten Schönheit sprechen, die Muti dem Orchester entlockt. Die Wiener Philharmoniker, mit allen ersten Solisten an den Pulten, schwelgen in herbstlichen Farben und die samtig schimmernden Celli und famos abgetönten Tuben im Adagio, während dessen Ausarbeitung der Komponist die Nachricht des Todes von Richard Wagner erhielt, vermögen tief zu beeindrucken – wie auch die formidable Gesanglichkeit, die Muti nie aus den Augen lässt. Nach einem letzten Durchatmen schießt die Coda im vierten Satz dann förmlich nur so heraus und beschert der philharmonischen Matinee einen atemberaubenden Schluss. Vom Publikum gibt es zu Recht wie gewohnt donnernde Ovationen für das Orchester und Maestro Muti.