LE GRAND MACABRE – musikalisch hochklassig, szenisch lau an der Wiener Staatsoper

Wiener Staatsoper Le Grand Macabre Erstaufführung
Das Ensemble beim Schlussapplaus nach der Premiere © Thomas Rauchenwald

Am 28. Mai 2023 hätte György Ligeti seinen 100. Geburtstag gefeiert. Im Rahmen ihrer Auseinandersetzung mit zeitgenössischer Oper bringt die Wiener Staatsoper unter der Direktion von Dr. Bogdan Roscic nun als zweite Premiere der laufenden Saison und als Erstaufführung im Haus am Ring überhaupt am 11. November 2023 „Le Grand Macabre“ des österreichisch-ungarischen Komponisten heraus. Das Werk ist eine Oper in zwei Akten mit dem Libretto von Michael Meschke und dem Komponisten nach La balade du Grand Macabre von Michel de Ghelderode. Die Uraufführung fand am 12. April 1978 in der Königlichen Oper in Stockholm statt. Ligeti stellte jedoch fest, dass er „hinsichtlich der realen (und oft enttäuschend groben) Bedingungen des Opernbetriebes ziemlich naiv gewesen“ sei, weshalb das Werk später von ihm überarbeitet und 1996 in einer nun allein gültigen Fassung zur Uraufführung gebracht wurde, die nunmehr auch in Wien gezeigt wird. Das Stück, in dem der Tod in einem imaginären Breughelland das Ende der Welt zu verkünden versucht, ist voller Zitate, derber Szenen, alberner Witze.

Grundthema der Oper ist die Aufhebung der Angst und der Triumph des Eros, das durch ironische Distanz, Verfremdung und eine permanente Doppeldeutigkeit – das Komische wird mit Todernst, der Ernst mit Humor genommen – vor den Augen des Publikums entfaltet wird. Spannend war die Frage, wie sich der belgische bildende Künstler, Theater- und Filmemacher Jan Lauwers dieser Aufgabe stellen würde. Ligetis Weltuntergangs-Meisterwerk handelt von der Verkommenheit der Menschheit – in einem fiktiven Land regieren Sex und Suff – und aktualisiert der Regisseur Lauwers den Stoff nicht, verzichtet zur Gänze auf Nacktheit, obwohl dies gerade bei diesem Stoff wie Text vielleicht sogar angebracht gewesen wäre, sondern bringt das Stück in breugelartigen Wimmelbildern auf die Bühne. Die Inspiration zu seiner immens bewegungsreichen Regiearbeit holt er sich aus Gemälden des niederländischen Renaissancemeisters Pieter Breugel des Älteren selbst, die in Videoproduktionen wiedergegeben werden: „Der Triumph des Todes“ und „Die Kreuztragung Christi“, diese Exponate sind nicht unweit der Wiener Staatsoper im Kunsthistorischen Museum Wien ausgestellt und zu bewundern.

Wie bereits in Claudio Monteverdis „L’incoronazione di Poppea“, die bei den Salzburger Festspielen wie auch an der Wiener Staatsoper gezeigt wurde, setzt Lauwers in seiner Inszenierung stark auf die internationale Performance-Gruppe Needcompany, welche die ganze Handlung tanzartig unterstreicht. Für die fordernde, mitunter flirrend bewegte Choreografie ist neben Lauwers Paul Blackman verantwortlich. Zusätzlich wird Lauwers, der auch das mickrige Bühnenbild entworfen hat, bei seiner bunten, farbenreichen Arbeit von Lot Lemm (schrille Kostüme) und Ken Hioco (plastisch stimmiges Licht) unterstützt. Die temporeiche Performance ist denn auch das Problem dieser Regiearbeit: Weil permanent dominierend, bleibt eine psychologisch subtile Personenregie beinahe zur Gänze auf der Strecke und wirkt das Ganze im Verlauf des Abends mehr und mehr langatmig bzw. ermüdend.

Die Sänger*innen, darstellerisch bedingt durch die überwiegend ballettartige Szenerie beinahe völlig auf sich allein gestellt, sind durch Sprechtexte, extreme Koloraturarien, Slapstick, rhythmisch extrem komplizierte Ensembles und kabarettartige Szenen sehr stark gefordert. Es ist bewundernswert, wie souverän die meisten mit den stimmlichen Anforderungen ihrer Partien umgehen. Uneingeschränkt sehr gute Leistungen vollbringen Gerhard Siegel (Piet vom Fass) mit bisweilen in heldentenoralen Sphären angesiedeltem Charaktertenor, Wolfgang Bankl als bassstarker Astradamors, Marina Prudenskaja mit fülligem Mezzo als Mescalina, Maria Nazarova und Isabel Signoret als mitunter lyrisch bezauberndes Liebespaar Amanda und Amando, Daniel Jenz (Weißer Minister), Hans Peter Kammerer (Schwarzer Minister), Jusung Gabriel Park (Ruffiack), Jack Lee (Schobiack) und Nikita Ivasechko (Schabernack). Einfach toll und überragend, was Klang- und Stimmkultur betrifft, singt der Countertenor Andrew Watts den Fürsten Go-Go, die Koloratursopranistin Sarah Aristidou in der Doppelrolle als Chef der Gepopo und Venus ist um Ausdruck und Gestaltung bemüht, ihr Koloratursopranstimmchen verfügt leider über zu wenig Fülle für das große Haus. In der Hauptrolle des Nekrotzar alias der Tod alias der dämonische Große Makabre aufgeboten wurde der österreichische Bariton Georg Nigl. Abgesehen von darstellerischer Größe klingt dieser Nekrotzar zeitweise gewaltig imposant, dann wieder ungemein differenziert, in seinem großen Monolog mit Deklamation verwendet er als Gestaltungsmittel auch die Larmoyanz eines echten Wiener Heurigensängers, wohl inspiriert vom Lied „Der Tod, das muss ein Wiener sein“ der großen Wiener Kabarettisten Georg Kreisler und Topsy Küppers, im Gesamten eine Glanzleistung. Alle Sänger*innen feiern bei dieser Erstaufführung naturgemäß Rollendebüts am Haus, Frau Aristidou und Herr Watts sogar Debüts am Haus überhaupt.

Naturgemäß sehr komplex ist auch Ligetis höchst perkussive Partitur. Der Klang wechselt ständig zwischen Reihenstrukturen, Clusterbildungen und Klangflächen ähnlich denen in seinen Atmosphères, zitathaften Phrasen, rhythmisiertem, die Sprechmelodie nachzeichnenden Gesang und gestenreicher, comicartiger Filmmusik. Die Orchesterbesetzung ist ungewöhnlich, neben einer kleinen, geteilten Streichergruppe gibt es eine große, farbige Bläsergruppe und einen vielfältigen Schlagzeugapparat (Autohupen, Türklingeln etc.), erweitert um eine eigene Tasteninstrumentefraktion. Folglich war die zweite spannende Frage des Abends, wie das Orchester der Wiener Staatsoper unter dem Spanier Pablo Heras-Casado, einem der vielseitigsten Dirigenten überhaupt, der alte Musik wie Avantgarde gleichsam beherrscht, die collageartig stil- wie zitatreiche, für Interpreten wie Publikum herausfordernd komplexe Partitur umsetzen würde. In der Formation, die uneingeschränkt das beste Opernorchester überhaupt darstellt, präsentieren sich an diesem Premierenabend alle Instrumentengruppen glänzend aufgestellt und klanglich herausgeputzt, sodass die Musik – werkimmanent – ständig unter Hochdruck abläuft, was von der bewegten Szene noch unterstrichen wird. Beeindruckend, mit welch‘ atemberaubender Rasanz und gestochen scharfer Brillanz das Orchester unter Heras-Casados höchst präzisem Dirigat diese doch ungewohnte Musik zu spielen in der Lage ist. Bedingt durch die bisweilen nichtssagende Regie geraten die rein instrumentalen Abschnitte zu den am meisten inspirierten des Abends, die auch, abgesehen von manchen sängerischen Leistungen, den stärksten Eindruck hinterlassen. Der eingesetzte Slowakische Philharmonische Chor wurde von Jozef Chabron einstudiert.

In „Le grand Macabre“ findet der Weltuntergang schließlich nicht statt. Ob das Stück denn am Ende auch lustig ist, als Gegenpol zu unseren gegenwärtigen Zeiten, die unendlich besser sein könnten, damit muss sich wohl jede/r selbst befassen. Dem Publikum scheint’s jedenfalls gefallen zu haben: Am Ende gibt es die gewohnte einhellige Zustimmung für die Musik, keine Buh’s bzw. verhaltene Bravo’s für die Regie. Im Hinblick auf die hervorragende musikalische Umsetzung hätte die Premiere ein Wurf werden können, wäre nur die laue Regie deutlich schärfer ausgefallen.

Themenschwerpunkte
Portait Thomas Rauchenwald
Thomas Rauchenwald
Autor des Blogs „Simply Classic“

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert