Lange war die Märchenoper in drei Bildern von Engelbert Humperdinck mit dem Text von Adelheid Wette ausschließlich als Kinderstück qualifiziert worden, weshalb das wunderschöne Werk nach dem II. Weltkrieg an der Wiener Staatsoper nicht gespielt und diese Lücke erst mit der Premiere der aktuellen Produktion am 19. November 2015 geschlossen wurde. Mittlerweile erfreut sich das Werk aber auch im Haus am Ring großer Beliebtheit und wird regelmäßig um die Weihnachtszeit auf den Spielplan gesetzt, weshalb am 28. Dezember 2023 die bereits 24. Aufführung der aktuellen Inszenierung über die Bühne ging.
Die gelungene, bezaubernde, einfach ästhetisch und schön anzusehende Regiearbeit stammt vom englischen Theaterregisseur und langjährigem Leiter der Royal Shakespeare Company, Adrian Noble, von dem die Wiener Staatsoper auch Inszenierungen von Verdis „Otello“ und Janáceks „Katja Kabanova“ im Repertoire hat. Mit seiner Version dieser Märchenoper findet er einen Weg, vor allem Kinder für die Oper abzuholen und auf emotional-atmosphärische Weise in das Stück und seine Geschichte hineinzuführen: Am Weihnachtsabend hat der Vater einer viktorianischen Familie für seine Lieben eine spezielle Überraschung – eine Laterna magica, also ein Projektionsgerät, anhand dieser Projektionen sich das Tor zum Märchen der Gebrüder Grimm, eben „Hänsel und Gretel“, öffnet. Wunderbare, zauberhafte Bilder gelingen dem bei seiner Arbeit von Anthony Ward (Ausstattung), Jean Kalman (plastisch stimmiges Licht) und Andrzej Goulding (Video) unterstützten Regisseur, der eine magische Welt erschafft, welche nicht nur die Erwachsenen, sondern vor allem auch die Kinder im Publikum erfreut, beglückt, begeistert.
Doch nicht nur die Optik war eine Freude an diesem Abend, auch die Musik erklingt auf hohem Niveau. Mittlerweile ist er vielbeschäftigt an der Wiener Staatsoper, der Brite und Dirigent der jüngeren Generation, Alexander Soddy, der nach gelungenen Serien von Verdis „Otello“ und Strauss‘ „Elektra“ auch bei der Oper von Humperdinck am Pult des Orchesters der Wiener Staatsoper steht, um in dieser Saison neben Bizets „Carmen“ und Wagners „Parsifal“ noch die Wiener Erstaufführung von „Animal Farm“ des Alexander Raskatov zu dirigieren. „Hänsel und Gretel“ nimmt er sehr ernst, führt das Orchester gezielt und straff, wodurch eine flüssige Wiedergabe der Musik über den Maßen überzeugt. Den romantischen Ton der Partitur trifft er genau, die gefährliche Dynamik – der dichte, mitunter dicke Orchestersatz ist ja bereits in wagner’schen Sphären angesiedelt – wird hervorragend austariert, Leichtigkeit, Lockerheit und Humor ebenso nicht vermissend. Die Sänger*innen werden derart von diesem Orchesterklang getragen bzw. sind gekonnt in diesen Sound eingebettet – der Dirigent versteht sein Handwerk, ja mehr als das, überzeugt als Interpret, weshalb er sich mittlerweile für ganz große Aufgaben empfiehlt.
Überzeugend auch die Stimmen an diesem Abend. Bewährt Adrian Eröd als Peter Besenbinder und Regine Hangler als seine Frau Gertrud, berührend Christina Bock mit flutendem Mezzosopran als Hänsel und Florina Ilie mit silbrigem Sopran als Gretel, die beiden Stimmen mischen sich auch hervorragend, Miriam Kutrowatz als feines Sand- und Taumännchen sowie die großstimmige Monika Bohinec als Knusperhexe. Johannes Mertl hat die Opernschule der Wiener Staatsoper gut für ihre Choraufgabe präpariert.
Ich darf an dieser Stelle „Prosit Neujahr“ wünschen!