Das mit erstklassigen Orchestern verwöhnte Wiener Publikum im Musikverein kommt wieder in den Genuss eines Gastspiels der Berliner Philharmoniker unter Kirill Petrenko, der seit 2019 Chefdirigent des Orchesters ist. Und Petrenko ist bekannt dafür, dass er nicht unbedingt Mainstream-Programme abspulen lässt, sondern auf eher Ungewohntes wie spannende Raritäten setzt.
Zu Beginn des Konzertes erklingt die „Tragische Ouvertüre“ d-moll, op. 81, von Johannes Brahms – forsch, voller Energie, mit ungeheurer Kraft dirigiert und gespielt, dramatische Wucht prägt den Auftakt eines gelungenen, letztlich außerordentlichen Konzertes.
Der zweite Programmpunkt vor der Pause umfasst das Konzert für Violine und Orchester Nr. 1, op. 35, von Karol Szymanowski, welches nach Ansicht des polnischen Geigers Pawel Kochanski – er hatte dem Komponisten auch bei der technischen Ausgestaltung des Werkes beraten – als eine Art einsätzige symphonische Dichtung mit obligater Solo-Violine betrachtet werden kann. Das kantilenen- wie stimmungsreiche Werk ist beim Meisterorchester aus Berlin und dem besonders in der Solokadenz virtuosen wie ansonsten sehr empfindsamen Spiel der in Georgien geborenen, deutschen Geigerin Lisa Batiashvili in den besten Händen: Ihr Instrument, einer Guarneri del Gesú aus 1739, bringt sie wundervoll zum Singen, besticht nahezu mit ungemein schönem, leuchtendem Geigenton. Das interessante Werk hat sich an diesem Abend aber nur Kennern erschlossen, weshalb die Publikumsreaktion eher verhalten ausfällt und sich die Solistin ohne Zugabe verabschiedet.
Nach der Pause treten die Berliner Philharmoniker dann in Großformation an, um die „Symphonia domestica“ für großes Orchester, op. 53, von Richard Strauss zum Besten zu geben. Leidet das Werk unter dem Attribut „minderwertig“, was ihm viele Rezensenten nach der Uraufführung 1903 verliehen hatten, ist davon an diesem Abend nichts zu hören, sondern besticht nahezu durch seinen Klangsensualismus (diesbezüglich Richard Strauss ja unübertroffen ist, ja nahezu als ein „Rattenfänger“ betrachtet werden muss), wenn wie derart strukturiert und intensiv dirigiert wie von Petrenko, dem das Orchester freudig, bereitwillig, bei jedem Bogen, jeder Phrase, jedem Schlag folgt. Sorgfältig wie ekstatisch, höchst sinnlich – vor allem im „Adagio“, einer der betörendsten Liebesszenen der Orchesterliteratur überhaupt – klingt die Tondichtung, die mit musikalischen Mitteln einen Tag im häuslichen Leben der Familie Strauss mit allem, was dazugehört, schildert. Petrenkos Dirigat dieser Programmmusik ist von feiner Eleganz und meisterhafter Orchesterbeherrschung geprägt und ist es immer wieder staunenswert, wie dieser gewissenhafte, vor Musik so demütige Dirigent der Interpretationskunst neue, lebendige Impulse verleiht. Deshalb gibt’s nach der „Domestica“ auch den zu erwartenden, lautstarken Publikumsjubel im Musikverein.