Mit Vassilis Christopoulos, einem gebürtigen Münchner mit griechischen Wurzeln, steht der Oper Graz seit Beginn der laufenden Saison ein neuer Chefdirigent zur Verfügung, der nach den eher belanglosen Jahren seines Vorgängers wieder für deutliche, interpretatorisch starke Akzente am Pult des Grazer Philharmonischen Orchesters zu sorgen scheint. Jedenfalls prägt er durch ein straffes, federndes, in organisch geschmeidigen Tempi gehaltenes Dirigat die Aufführung von Giuseppe Verdis Melodramma in vier Akten, „Macbeth“, mit dem Libretto von Francesco Maria Piave (Ergänzungen von Andrea Maffei) nach der gleichnamigen Tragödie von William Shakespeare. Auffällig ist dabei auch ein ungewohnter Klang der Blechbläser, weil die Grazer Philharmoniker die Musik mit nachgebauten Ventilposaunen statt der üblichen Zugposaunen spielen. Lediglich ein wenig mehr an zugespitzter Dramatik und Schärfe hätte man sich an diesem Abend gewünscht.
Erlebte die Oper Graz bei der Premiere dieser Produktion am 25. November 2023 einen veritablen Super-GAU – nach starkem Beginn hatte der Sänger der Hauptpartie, der polnische Bariton Mikolaj Zalasinski mehr und mehr an Stimme verloren, um in der Bankettszene vor der Pause nur mehr stimmlos krächzen zu können, wie furchtbar muss diese Situation für diesen virilen, mit samtig körniger Textur ausgestatteten Kavaliersbariton an diesem Abend gewesen sein, die Partie wurde nach der Pause dann von Wilfried Zelinka von der Seite aus zu Ende gesungen – überzeugt er an diesem Abend mit einer exzellenten Gesangsleistung. Nahezu bruchlos führt er seinen auch schön timbrierten Bariton, das mit gekonntem Legato gesungene wie wunderbar phrasierte „Pieta, rispetto, amore“ kurz vor Schluss gerät zum Höhepunkt des Abends. Auch die Leistung von Dshamilja Kaiser, früher Ensemblemitglied in Graz, seit 2017 fix an der Oper Bonn engagiert, als Lady Macbeth fällt überzeugend aus. Verfügend über eine satte Mezzosopranstimme meistert sie die komplex zu gestaltende wie insgesamt anspruchsvolle Partie, ist ständig um Dramatik und loderndes Singen bemüht, die Gestaltung der lustvoll am Machtstreben zugrunde gehenden Psychopathin ringt sie sich förmlich ab und vermag damit das Publikum zu beeindrucken, vor allem mit ihrer Darbietung der Wahnsinnsszene, was ihr, gemeinsam mit Zalasinski, den Publikumsjubel am Schluss sichert. Ensembletenor Mario Lerchenberger scheint prädestiniert für Partien von Mozart und Britten, das Timbre eines Verdi-Tenors hat er nicht, vermag aber mit vorbildlich geführtem Tenor einen ganz hervorragenden Macduff zu singen. Etwas blass als Banco bleibt Daeho Kim mit seinem doch für die Rolle zu leichtem Bass. In den kleinen Partien sind – unauffällig – Ekaterina Solunya (Kammerfrau der Lady Macbeth), Dimitri Fontolan (Arzt) und Euiyoung Peter Oh (Macduff) zu hören. Chor und Extrachor der Oper Graz sind von Johannes Köhler gut einstudiert, die Formation, vor allem die Damen, welche die Hexen verkörpern, hat hörbar stark an der italienischen Aussprache gefeilt.
Der neue Chefdirigent und die junge Regisseurin Kateryna Sokolova haben sich gemeinsam dazu entschieden, „Macbeth“ mit dem ursprünglichen Finale der Florentiner Fassung aus 1847 – der Arie „Mal per me che m’appressai“ – zu beenden und Verdis Pariser Fassung aus 1865 nicht bis ganz zum Schluss zu folgen, wobei der Sänger der Hauptrolle damit stimmlich einen deutlichen Schlusspunkt setzen kann. Die gelungene Inszenierung – Personenregie und Personenführung geraten stark – kommt ohne Blut aus, die Bühne (Nikolaus Webern) gerät passend, das Licht (Sebastian Alphons) plastisch stimmig. Interessant, wie Sokolova die bei „Macbeth“ immer wieder aufkommende Problematik löst, wer oder was denn die Hexen sind bzw. sein sollen: Die Regisseurin deutet sie als Alter Egos von Macbeth; seine eigenen Gedanken repräsentierend, schaut sich dieser in den Spiegel und sieht dort eine Reihe von Hexen, die denn auch mit denselben Kostümen wie er ausgestattet sind. Die Hexen geistern also im Kopf von Macbeth, der von seinen abgründigen Gedanken getrieben wird. Der Grazer Oper ist mit diesem „Macbeth“ eine durch und durch spannende wie hochinteressante Produktion gelungen.