„Aribert Reimanns Musik nimmt eine wesentliche Konstellation der Kunst in der ersten Moderne auf, nämlich die Frage nach ihrem Werkcharakter, nach der Autonomie der Kunst angesichts einer äußerlich und innerlich zerrissenen Gesellschaft. Die Kunst tröstet nicht mehr…“ (Wolfgang Rathert)
Geprägt war er vor allem von der menschlichen Stimme, die ihn faszinierte, für die er immer wieder komponierte, der am 4. März 1936 in Berlin geborene, aus einer Musikerfamilie – der Vater war Organist und Leiter des Staats- und Domchores, die Mutter Sängerin und Gesangspädagogin – stammende Aribert Reimann, und der nun am 13. März 2024 kurz nach seinem 88. Geburtstag in seiner Heimatstadt gestorben ist.
Reimann wurde mit einer Vielzahl von Ehrungen und Preisen ausgezeichnet und war gewiss einer der prägendsten zeitgenössischen Komponisten. Obwohl nie Avantgardist – in Avantgardekreisen war die menschliche Stimme verpönt – hatte er nichts gegen Reihentechnik und serielle Musik. Bei ihm stand immer der Ausdruck im Vordergrund, seelische wie körperliche höchste expressive Spannung dominieren seine Liederzyklen und Opern.
Von seinen Instrumentalwerken hervorgehoben seien die Miniaturen für Streichquartett (2004/05), die beiden Klavierkonzerte (1961 und 1972), Sieben Fragmente für Orchester (in memoriam Robert Schumann, 1988) oder das Orchesterwerk Zeit-Inseln (2004).
Neben Liedkompositionen, wo er Texte von Paul Celan, James Joyce oder Joseph von Eichendorff vertonte, ist er vor allem als Komponist für das Musiktheater hervorgetreten. Von seinen Literaturopern möchte ich die Opern Ein Traumspiel (1965) und Die Gespenstersonate (1984) nach August Strindberg, Melusine (1971) nach Yvan Goll, Troades (1986) nach Euripides, Das Schloss (1992) nach Franz Kafka, Bernarda Albas Haus (2000) nach Federico García Lorca, Medea (2010) nach Franz Grillparzer und L’Invisible (2017) nach Maurice Maeterlinck anführen, essentiell bei seinem Opernschaffen waren immer politische und gesellschaftliche Bezüge.
Sein wohl größtes, bedeutendstes Werk ist der auf die Stimme von Dietrich Fischer-Dieskau zugeschnittene Lear (1978) nach William Shakespeare. Obwohl seine Werke in einer völlig anderen Klang- wie Tonsprache gehalten sind, waren, was die Stimmführung betrifft, Johann Sebastian Bach und Giuseppe Verdi seine Vorbilder, weshalb die Verkörperung des Lear völlig unterschiedlichen Sängerpersönlichkeiten überzeugend möglich war und ist, sei es Christian Gerhaher, Gerald Finley oder Franz Mazura.
Das Komponieren war aber nicht sein einziges Standbein. Geschätzt war er als Liedbegleiter u. a. von Brigitte Fassbaender – von Franz Schuberts Winterreise gibt es mit ihr bei der DGG eine Aufnahme, wo der Klavierpart von Reimann ungemein modern und ausdrucksstark gestaltet wird –, Elisabeth Grümmer, Rita Streich oder Marlis Petersen. Last but not least war er ein leidenschaftlich engagierter Lehrer und Pädagoge in Hamburg, später an der Hochschule der Künste in Berlin.