Violetta stirbt allein – Hans Gratzers „Traviata“ wieder an der Volksoper Wien

Die Protagonisten mit Omer Meir Wellber beim Schlussapplaus © Thomas Rauchenwald

Die Vorstellung am 6. April 2024 an der Volksoper Wien ist bereits die 181. (!) Aufführung von Giuseppe Verdis Oper in drei Akten, „La traviata“, mit dem Libretto von Francesco Maria Piava nach Alexandre Dumas fils „La Dame aux camelias“, in der Regie des 2005 verstorbenen Hans Gratzer, der auch das in seiner Kargheit beeindruckende Bühnenbild entworfen hat. Die Inszenierung, Musiktheater vom Feinsten, man kann beinahe von einer Kult gewordenen Ikone sprechen, hat bis heute nichts von ihrer Ästhetik, Eleganz und Poesie eingebüßt. Die von Barbara Naujok entworfenen Kostüme sind berauschend schlicht; das plastische, die Bühne fortwährend in milchig verhangene, magische Farben tauchende Licht von Frank Sobotta schafft einzigartige Stimmungen. Violetta Valéry, die Kurtisane, die Dank Alfredo Germont ihre große Lebensliebe erfährt, welche furchtbar tragisch endet, erlebt die Handlung in Gratzers großartiger Inszenierung mit einfacher, fulminanter Personenführung als Rückblende vor ihrem Tod. Besonders berührend, ja beklemmend gerät die Schlussszene, wo die ersehnten Alfredo und Giorgio Germont nur mehr in ihrer Fantasie erscheinen, sprich hinter einem Vorhang, von Violetta nur mehr als Schatten wahrgenommen, auftauchen, bevor sie in den Armen Anninas und Dr. Grenvils ihr kurzes Leben aushaucht.

Auch musikalisch waren die Aufführungen von „La traviata“ an der Volksoper Wien in Gratzers Inszenierung immer gelungen und wurden vom Publikum heftig akklamiert, standen doch in all‘ den Jahren ausgezeichnete SängerInnen wie Viktoria Loukianetz und Marina Rebeka als Violetta, Pavel Cernoch und Tomislav Muzek als Alfredo Germont, Bernd Weikl und Renato Bruson als Giorgio Germont, um nur einige zu nennen, auf der Bühne sowie Dirigenten wie Leopold Hager oder Alfred Eschwé am Pult. So auch an diesem Abend. Die kleinen Partien sind allesamt adäquat aus dem Hausensemble besetzt. Roger Diaz-Cajamarca hat den Chor der Volksoper Wien sehr gut für seine Aufgabe präpariert. Im Graben, am Pult des höchst motivierten Orchesters der Volksoper Wien setzt Omer Meir Wellber noch einmal mit ungeheurem Drive, feurigem Brio und betont differenziertem Musizieren außergewöhnliche, starke Akzente. Nach kleinen Unsicherheiten zu Beginn steigert sich Ekaterina Bakanova in der Titelrolle zu einer herausragenden Leistung, ihr ansprechender Sopran ist in allen Lagen gut geführt, sie verweigert dem Publikum auch nicht die Spitzentöne, ihr diesbezüglicher Mut wird mit Gelingen belohnt. Mächtig, gesangvoll phrasierend präsentiert Andrei Bondarenko seinen körnigen Bariton als Giorgio Germont, das Duett zwischen Violetta und Giorgio im zweiten Aufzug gerät zum gesanglichen Höhepunkt des Abends. Nicht ganz auf dieser Höhe agiert David Kerber als Alfredo Germont, der insgesamt mit seinem hellen, in der Höhe noch etwas engem Tenor aber beherzt leidenschaftlich reüssieren kann.

Diese über den Maßen gelungene Produktion, wo ein Werk ganz aus Musik, Text und literarischer Vorlage entwickelt auf die Bühne gebracht wird, möge dem Wiener Publikum noch lange erhalten bleiben.

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Portait Thomas Rauchenwald
Thomas Rauchenwald
Autor des Blogs „Simply Classic“

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