Mozarts Krönungsoper in Vorstadtslums – Mozarts „La clemenza di Tito“ bei den Wiener Festwochen

Die ProtagonistInnen beim Schlussapplaus © Thomas Rauchenwald

In der niederländischsprachigen belgischen Tageszeitung „De Standaard“ wird die Produktion als „die kreativste und konfrontativste Interpretation … der letzten Jahrzehnte“ von Wolfgang Amadeus Mozarts vorletztem Werk für Musiktheater bezeichnet. Das mag wohl sein. Dennoch geht die Inszenierung von „La clemenza di Tito“, eine Produktion des Grand Théatre de Genéve, koproduziert mit Théatres de la Ville de Luxembourg, Opera Ballett Vlaanderen und den Wiener Festwochen, die nun am 21. Mai 2024 im Wiener Museumsquartier zur Premiere kam, vollkommen am Stück vorbei. Die Regiearbeit von Festwochen-Intendant Milo Rau soll eine Kritik am bequemen Engagement und gleichzeitig eine Hommage an alle Menschen, die in Wien leben, unabhängig davon, wo sie ihre Wurzeln haben, darstellen. Das hat nun aber mit Mozarts Krönungsoper anlässlich der Prager Kaiserkrönung Leopolds II., einem aufgeklärten Monarchen, wo Güte, Milde und Verzeihen eines absoluten Herrschers im Zentrum stehen, so gut wie nichts zu tun. Auch in der handwerklich-szenischen Umsetzung mangelt es gewaltig. Personenführung? Personenregie? Zwingendes Erzählen einer Geschichte, entwickelt aus Libretto und Musik? Fehlanzeige. Neunzehn in Wien lebende Menschen, teils mit eigenen Erfahrungen in repressiven Systemen, bevölkern, in Wohnwagenslums lebend, die zugeramschte Bühne (Anton Lukas). Ihre Einzelschicksale kann man auf einer Leinwand lesen, während die ProtagonistInnen an der Bühnenrampe statisch ihre Arien absingen. Live-Videos (Moritz von Dungern), das Geschehen auf der Bühne vergrößernd, sind längst nur mehr langweilig, die Kostüme (Ottavia Castelloti) wirken banal, das Licht (Jürgen Kolb) trostlos. Rau, der auch brutale Gewaltszenen auf die Bühne bringt, sieht das Stück als verlogene Toleranzattitüde des Herrschenden und man wird den Eindruck nicht los, der Regisseur wollte gar keine Oper inszenieren, sondern eine Performance mit MigrantInnen kreieren. Am Ende wird es dann richtig trivial: Auf der Leinwand wird das Aussterben der Menschen geschildert, die Natur übernimmt die Macht, wobei man Vöglein zwitschern hört …

Über Inszenierungen kann bekanntermaßen heftig diskutiert werden, in einerseits zustimmenden Applaus mischen sich andererseits am Ende aber auch heftige Buhrufe für den Regisseur. Die musikalische Seite einer Mozart-Oper bei den Wiener Festwochen sollte jedoch eine Bank sein, doch auch diesbezüglich überwiegt die Enttäuschung. Mozarts herrliche Musik plätschert bei der von Thomas Hengelbrock dirigierten Camerata Salzburg meist wenig pulsierend, eigenartig spannungsarm wie leblos dahin. Hohen Ansprüchen genügen nur der von Viktor Mitrevski einstudierte Arnold Schoenberg Chor und der furios, mit glutvollem Mezzo gesungene Sesto von Anna Goryachova. Auf weitgehend inferioren gesanglichen wie stimmlichen Niveau agiert bedauerlicherweise der Rest der Besetzung: Jeremy Ovenden (Tito), Anna Malesza-Kutny (Vitellia), Sarah Yang (Servilia), Maria Warenberg (Annio) und Justin Hopkins (Publio).

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Portait Thomas Rauchenwald
Thomas Rauchenwald
Autor des Blogs „Simply Classic“

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