Teilweise neu besetzte „Meistersinger“ an der Wiener Staatsoper

Georg Zeppenfeld als Hans Sachs an der Wiener Staatsoper © Michael Pöhn

In seiner mittlerweile vierten Saison als Musikdirektor der Wiener Staatsoper musiziert Philippe Jordan voll im Einklang mit dem Orchester, bemüht er sich doch enorm um die Formation, auch stimmt die Chemie zwischen ihm und den MusikerInnen nunmehr sichtbar und wirkt sich dieser Umstand naturgemäß auf das musikalische Ergebnis aus. Allzu gern folgt am Abend des 30. Mai 2024 das hervorragend disponierte Orchester dem Dirigenten, der mit großem Gestaltungsreichtum am Pult waltet. Bereits das Vorspiel gelingt hervorragend in der Umsetzung, weil zügig präzise musiziert und kommen überhaupt die ersten beiden Akte flüssig, dynamisch hervorragend austariert und durchsichtig im Klang daher. Im dritten Akt findet Jordan mit nach einer kammermusikalisch ziselierten, wehmütig melancholischen Einleitung zu flüssigem Parlando-Ton in der Schusterstube wie großen Wagner-Klang auf der Festwiese. Der Applaus des Publikums steigert sich von Akt zu Akt immer mehr und entlädt sich am Schluss in lautstarke Begeisterung.

Sehr gut bis teilweise exzellent präsentiert sich an diesem Premierenabend auch der Chor der Wiener Staatsoper, der, von Thomas Lang einstudiert, zu differenziert plastischen, macht- wie prachtvollen Chorgesang findet, was einfach essenziell für musikalisch gelungene „Meistersinger“ ist.

Was die Besetzung an diesem Abend betrifft, könnten sämtliche, aus dem Ensemble des Hauses besetzte „Meister“ über mehr an Prägnanz wie an Profil verfügen; auch Peter Kellner als Nachtwächter und Martin Hässler als Fritz Kothner bleiben allzu blass. Bedauerlicherweise verfügt Michael Laurenz als vom Habitus her zu alter Lehrbube David, eine phänomenale Höhe ausgenommen, über wenig Charakter wie Stimme. Stark hingegen agiert Christina Bock als Jungfer Magdalene. Mit ihrem immer kräftiger werdenden Sopran führt sie auch das Quintett im dritten Akt schön an:  Hanna-Elisabeth Müller als optisch wie stimmlich attraktive Eva, welche dem Mann Sachs dessen Entsagung verständlicherweise wohl sehr schwer macht. Zurückhaltend beginnt David Butt Philip als Walther von Stolzing, steigert sich aber im Laufe des Abends mehr und mehr zu freiem, überaus schmelzreichen Tenorgesang und krönt seine Leistung mit einem fein gefühlvollen Preislied. Einzuwenden ist allerdings, dass dieser Tenor einfach den rollenimmanent strahlenden Glanz in seiner Stimme vermissen lässt, weshalb man diesbezüglich nicht an große Rollenvorgänger im Haus am Ring wie Windgassen, King, Kollo, Jerusalem oder Botha denken darf. In bewährt vollstimmiger, bassstarker Manier gibt Günther Groissböck Veit Pogner und ist in der Rolle des Sixtus Beckmesser als Einspringer für Wolfgang Koch nunmehr Martin Gantner aufgeboten, der den auf Freiersfüßen wandelnden Stadtschreiber bewährt und verlässlich mit prägnant hellem, bisweilen etwas grellen Bariton artikuliert. In der Rolle des Nürnberger Schusterpoeten Hans Sachs zu erleben ist Georg Zeppenfeld: Von kleinen Ermüdungserscheinungen erst im Schlussmonolog abgesehen, erfasst er die komplexe Riesenpartie gestalterisch wie stimmlich in allen Nuancen mit seinem herrlich timbrierten, virilen wie perfekt geführten Bass. Dem Sänger ist auch höchste Phrasierungs-, Artikulations- wie Diktionskunst zu attestieren, weshalb er zu Recht vom Publikum für seine Leistung gefeiert wird.

Die Inszenierung von Keith Warner funktioniert auch im Repertoire. Stellen die „Meistersinger“ eine kaum zu bewältigbare Herausforderung dar, das Stück wurde im Nationalsozialismus einfach zu schwer missbraucht, versucht Warner, der Wagners Antisemitismus bewusst in seiner Regie ausspart, es so gut als möglich auf die Bühne zu bringen. Glücklicherweise gibt es keine das Werk zusätzlich verfremdende wie überfrachtende Rahmen- oder Parallelhandlungen. Zutreffend steht die Figur Hans Sachs im Zentrum der Produktion und wenn man so will, kann man im ganzen Ablauf des Abends auch einen Traum von einem über das Leben fantasierenden Hans Sachs sehen, einen schönen wie weniger schönen, zeigt Warner den Dichterschuster denn als Mann, Strippenzieher, Wegbereiter wie schmerzlich resignierenden Entsagenden. Personenführung wie Personenregie funktionieren auch mit Protagonisten, die nicht in der Premierenserie auf der Bühne gestanden sind: Warner versteht es, Menschen auf der Bühne mehr oder weniger ergreifend darzustellen, die Beziehungen und Handlungen, in denen sie zueinanderstehen, herauszuarbeiten. Die Kostüme gehen durch die Jahrhunderte, altes findet sich hier neben neuem, der bunte Reigen wirkt zuweilen etwas zu banal, grell und aufgesetzt. Was aber für die Inszenierung einnimmt, ist die Tatsache, dass man durch Warners klare, im Grunde einfache Inszenierung des im Grunde bitter ernsten, wenig heiteren Meisterwerkes nicht von der überragenden Musik abgelenkt wird. Der Regisseur erzählt die Geschichte: Die Liebe zwischen Eva und Stolzing, die Meister mit ihren strengen Gesangsregeln, Beckmesser mit seinem Festhalten an den alten Traditionen, unfähig für Neuerungen in der Kunst, und Hans Sachs als sich und seine Person Zurücknehmenden, dem am Ende zwar vom Volk gehuldigt wird, der aber all‘ sein Glück verloren hat.

Themenschwerpunkte
Portait Thomas Rauchenwald
Thomas Rauchenwald
Autor des Blogs „Simply Classic“

Kommentare

  1. Gustav Pieler

    Hallo Thomas, treffend rezensiert! Bravo!
    IMHO ist im 3. Absatz ein Wort (angeht) zu viel:
    Was die Besetzung an diesem Abend betrifft, angeht, könnten sämtliche, aus dem Ensemble des Hauses besetzte „Meister“ über mehr an Prägnanz wie an Profil verfügen;
    Ganz liebe Grüße, Gustav

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Das könnte Sie auch interessieren