Camilla Nylund ist die neue Isolde bei den Bayreuther Festspielen, die am 25. Juli 2024 mit einer Neuproduktion von „Tristan und Isolde“ eröffnet werden. Darüber und dass man auch als „Hochdramatische“ leise singen muss, gab die in Dresden lebende Sängerin Einblicke beim Gespräch in Wien.
„Es ist ein Versuch und ein großer Sprung, weil ich mir in meinen kühnsten Träumen nie hätte vorstellen können, dass ich dieses sog. „hochdramatische“ Fach auch tatsächlich in meiner Sängerlaufbahn noch singen werde. Es war aber eine natürliche Entwicklung. Im Grunde bin ich keine hochdramatische Sopranistin, sondern eine jugendlich-lyrische, die mit Technik Stimmvolumen und einer Entwicklung aus dem bisher Gesungenen auch das erweiterte Fach schaffen kann. Ich habe in meinem Fach, also in diesem deutschen, jugendlich-dramatischen Fach, alle Partien von Wagner und Strauss gesungen. 2018 habe ich in Zürich Senta im „Holländer“, eine Partie, wo man an manchen Stellen so richtig drauflegen kann und in der ich mich auch so richtig wohl fühle, gesungen – in einer Inszenierung von Andreas Homoki, der davon so begeistert war, dass er mich gefragt hatte, ob ich an diesem Haus nicht Brünnhilde im „Ring“ machen möchte. Zunächst dachte ich, er sei verrückt. Zuvor hatte ich, was das hochdramatische Fach betrifft, schon Anfragen für Isolde, diese aber immer abgelehnt, weil die entsprechenden Bedingungen – Bühne, Dirigent, Art der Produktion, Inszenierung, Kollegen – dafür nicht vorhanden waren. Ich habe dann nach dieser Senta den zweiten Akt „Tristan und Isolde“ in Amerika mit Jonas Kaufmann unter Andris Nelsons ausprobiert. Homoki hat aber schon ein kleines Feuer in mir entzündet, ich habe mir das Angebot mit Brünnhilde überlegt, weil ich ja eine Kämpferin bin und Herausforderungen liebe, die Sache mit meiner Lehrerin, mit meiner Agentur und meinem Pianisten, mit dem ich alles einstudiere, besprochen. Ich habe Homoki dann gesagt, dass ich das nur mit meiner ureigenen Stimme machen kann, mit meiner Person, und eine gute Bühne und eine gute Akustik brauche. Schließlich habe ich ihm dann zugesagt. Und kurz darauf kam bereits das nächste Angebot für den nächsten „Ring“, den ich dann in Mailand machen werde – und zwar mit Christian Thielemann.
Im Herbst 2022 kam zunächst die Walküren-Brünnhilde, im März 2023 die Siegfried-Brünnhilde und letzten Herbst die Götterdämmerung-Brünnhilde, die mir eigentlich am meisten Spaß gemacht hat, obwohl es die schwerste der drei Partien ist. Diese lange Rolle ist aber von Wagner gut konzipiert und eingeteilt. Ab dem zweiten Akt „Götterdämmerung“ braucht man dann aber eine ungeheure Power und ist dieser zweite Akt gewiss die größte Herausforderung. Wie ich meine Stimme dazu bekommen kann, habe ich aber mit meiner Lehrerin erarbeitet. Man muss immer versuchen, nicht im, sondern über dem Orchester zu sein, wobei mir meine helle Stimme sehr hilft. Am ehesten liegt mir die Siegfried-Brünnhilde, wo man zwar ebenso mit voller Stimme powern, aber auch wieder zurück muss zu den lyrischen Abschnitten, vor allem in „Ewig war ich, …“: Dieser Wechsel zwischen Dramatik und Lyrik ist das Schwierige an dieser Partie. Ich war froh, dass ich alle drei Brünnhilden zuerst mit Homoki in seiner wunderbaren Inszenierung machen durfte, weil ich auf den Proben auch die anderen Rollen mitlernen konnte. Homoki hat das Stück nicht neu gedeutet, sondern erzählt, davon waren nicht nur viele im Publikum begeistert, sondern auch wir Sänger waren sehr froh darüber und haben uns schauspielerisch sehr wohl gefühlt.“
„Meine erste komplette Isolde war im Sommer 2022 in Zürich. Würde man Artikulation und Wortdeutlichkeit bei dieser Rolle nicht hinüberbringen, wäre der ganze erste Akt für das Publikum langatmig, weil ja so viel Text zu singen ist. Ich habe mich bemüht, die Geschichte deutlich zu erzählen. Es war fantastisch, diese Partie auch in der tollen Dresdner Akustik zu Beginn des heurigen Jahres auf dieser Bühne, in diesem wunderschönen Haus zu singen – und mit Christian Thielemann, der das Stück sehr gut kennt. Es war eine Herausforderung zu Hause, ich wohne ja noch immer in Dresden. Thielemann hat mir auch gesagt, dass es in erster Linie auf die leisen Stellen der Partie ankommt. Laut singen kann Jede, aber mit solchen Stellen wie im ersten Akt – „Er sah mir in die Augen, seines Elendes jammerte mich!“ – das Publikum zu berühren, das muss gelingen.“
„Unterschiedliche Herangehensweisen an diese Rolle in Bezug auf die unterschiedlichen Größen der Häuser und auf die verschiedenen akustischen Verhältnisse gibt es nicht. Ich singe immer die gleichen Töne, immer die gleiche Partie. Eine gute Akustik, wo man sich selbst sehr gut hört, ist natürlich für die Psyche sehr gut, weil man dann das Gefühl hat, es klingt alles so, wie man sich das vorstellt. Eine dumpfe Akustik, wo man dieses Gefühl nicht bekommt, ist natürlich schwierig, weil man als Sänger auch immer eine Bestätigung braucht. Die Bayreuther Akustik kommt den Sängern sehr entgegen, weil man unglaublich leise singen kann.
Ich bin schon sehr auf diese Neuproduktion gespannt. Mit Herrn Bychkov habe ich erst wenig gearbeitet, Freia in Dresden 1999, einmal als Einspringerin als Chrysothemis bei „Elektra“ in Paris, weshalb ich sehr überrascht war, dass er mich als Isolde in Bayreuth besetzen wollte, weil ich ihn ja auch nicht sehr gut kenne. Ich bin aber sehr neugierig, wie das mit ihm wird, er ist ja ein ausgewiesener Vollblutmusiker. Nach den Rollen, die ich in Bayreuth bereits gesungen habe – Elisabeth, Sieglinde, Eva, Elsa – ist die Isolde natürlich die Krönung.
Eine Probe hatten wir in der Neuproduktion schon, ich weiß auch schon ungefähr, wie es werden wird, wie ich aussehen werde, wie das Bühnenbild aussehen wird. Ich habe den Regisseur (Anmerkung: Thorleifur Örn Arnasson) einmal in Hamburg getroffen und lass‘ mich überraschen. Es wird jedenfalls spannend. Das geschriebene Wort, das, was ständig erzählt wird, wird eine große Rolle spielen.
Es wäre interessant gewesen, Richard Wagner, der ja ein Charismatiker sondergleichen gewesen sein muss, einmal persönlich zu begegnen. Ohne starke Frau an seiner Seite hätte der sein enormes Pensum jedenfalls nicht bewältigen können.“