Jubel für ein forderndes Werk – DER IDIOT in Salzburg

Bogdan Volkov (Myschkyn), Ausrine Stundyte (Nastassja) und Vladislav Sulimsky (Rogoschin) in DER IDIOT © SF/Bernd Uhlig

„Der Idiot“, eine 1986/1987 entstandene, 2013 in Mannheim uraufgeführte Oper in vier Akten und zehn Bildern mit der Musik des polnisch-jüdischen Komponisten Mieczyslaw Weinberg und dem Libretto von Alexander Medwedew ist die letzte Oper des Komponisten und basiert auf dem gleichnamigen Roman von Fjodor Michailowitsch Dostojewski. Nach der österreichischen Erstaufführung 2023 im Theater an der Wien sorgt nun die Neuproduktion bei den Salzburger Festspielen für internationale Aufmerksamkeit und setzt Intendant Markus Hinterhäuser dabei wieder auf ein Meisterwerk, das es vom Publikum noch zu entdecken gilt.

Was die Musik dieses emotional wie geistig fordernden Werkes betrifft, ist der Orchestersatz von seelisch psychologischen Bildern geprägt, bei den Stimmen herrscht ein überwiegend deklamatorischer Gesangsstil vor. Weinberg, dessen musikalische Sprache stark von seinem Förderer Dmitri Schostakowitsch geprägt ist, findet einen überzeugenden, eigenen Stil, der Groteske, Hysterie und allzu Schrilles in der Instrumentierung vermeidet. Derart entstehen fließende Linien – prädestiniert für das wohl beste Opernorchester überhaupt, die Wiener Philharmoniker, die für diese Produktion zum ersten Mal mit der litauischen Dirigentin Myrga Grazinyte-Tyla zusammenarbeiten, die sich in der Aufführung am 15. August 2024 viel Zeit für das Werk nimmt, und der Musik Weinbergs aufmerksam, engagiert wie höchst empfindsam und differenziert auf den Grund geht. Gesundheitsbedingt musste die Dirigentin die Aufführung am 18. August 2024 absagen und konnte kurzfristig Oleg Ptashnikov, ehemals musikalischer Assistent von Mariss Jansons bei den Salzburger Festspielen, für das Dirigat gewonnen werden. Dieser setzt im Kontrast dazu am Pult des auf Stuhlkanten musizierenden Orchesters nicht auf die verhaltene Emotionalität dieser spannenden, interessanten Partitur, sondern stärker auf deren Schärfe, Dramatik und immer wieder aufbrechenden kühnen Dissonanzen.

„Das Stück besitzt eine verblüffende Fähigkeit, die innere Entwicklung der Figuren und ihre Reaktionen aufeinander gleichzeitig im Dunkeln zu lassen und zu erhellen.“, wie David Fanning in seinem Essay im Programmheft ausführt. Dieser psychologischen Exaktheit Dostojewski entspricht Weinberg auf erstaunliche Weise – und der polnische Film- und (Musik-)Theaterregisseur Krzysztof Warlikowski, der nach „The Bassarids“, „Elektra“ und „Macbeth“ nun zum vierten Mal Oper in Salzburg inszeniert, setzt das auf noch zusätzlich beeindruckende Weise um, unterstützt wie gewohnt von Malgorzata Szczesniak (Ausstattung), Felice Ross (Licht) und Kamil Polak (Video). Die breit dimensionierte Bühne der Felsenreitschule bespielt er auf außergewöhnliche Art und Weise, die sublim feine, psychologisch fundierte Personenregie wie Personenführung, die Beziehungsgeflechte der handelnden Personen klar und deutlich herausarbeitend, erzeugen eine Art grandioses Kammerspiel innerhalb von einem film noir. Warlikowskis Arbeit, naturgemäß zwischen Symbolik und Realismus changierend, setzt dieses Mal so gar nicht auf Überfrachtung, sondern exaktes, feinnerviges Spiel, wodurch die Verunsicherung, die Fürst Myschkin mit seiner friedfertigen Art wie Aura bei seiner Umgebung bewirkt, noch stärker und kontrastreicher zum Ausdruck kommt. Erstaunlich, wie es dieser Regisseur schafft, in Zeiten zunehmenden Musiktheaterunsinnswustes mit seinen kühnen Arbeiten doch immer ganz am Werk, am Text, an der Musik zu bleiben.

Für die Hauptfigur, Fürst Lew Nikolajewitsch Myschkin, hat Weinberg feintenorale Endloskantilenen geschaffen, die Bogdan Volkov mit lyrischer Emphase einfach perfekt vorträgt, Leben und Leiden dieses Schmerzensmannes stimmlich in allen Nuancen grandios gestaltend. Glücklicherweise dringt sein obertonreicher Tenor dank gekonnter Stimmführung und tatkräftiger Unterstützung vom Pult immer durch das Orchester, hervorzuheben ist auch das atemberaubende Spiel des Sängers. An seiner Seite erbringen Ausrine Stundyte mit dramatischem Sopran als Nastassja Filippowna Baraschkowa und Vladislav Sulimsky mit sehr gut geführtem Bariton als Parfon Semjonowitsch Rogoschin stimmlich hervorragende Leistungen. Aufhorchen lässt Xenia Puskarz Thomas mit starkem Sopran als Aglaja Iwanowna Jepantschnina, sehr gut besetzt auch ihre Eltern, Clive Baley als General Iwan Fjodorowitsch Jepantschin und Margarita Nekrasova als seine Frau Jelisaweta Prokofjewna Jepantschina sowie Iurii Samoilov als prägnanter Lukjan Timofejewitsch Lebedjew.

Nach drei Stunden und fünfzig Minuten gibt es Jubel vom Publikum in der Felsenreitschule.

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Portait Thomas Rauchenwald
Thomas Rauchenwald
Autor des Blogs „Simply Classic“

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