Bruckners „Romantische“ mit Grillenzirpen: Sir Simon Rattle und das BRSO in Grafenegg

Sir Simon Rattle und das BRSO beim Grafenegg Festival © Thomas Rauchenwald

Seit Beginn Saison 2023/2024 ist Sir Simon Rattle – nach Eugen Jochum, Rafael Kubelik, Sir Colin Davis, Lorin Maazel und Mariss Jansons – der sechste in der Reihe bedeutender Chefdirigenten beim renommierten Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks, das uneingeschränkt zu den führenden Klangkörpern weltweit zu zählen ist.

Bei seinem Gastspiel im Wolkenturm beim Grafenegg Festival an einem herrlich lauen Sommerabend am 30. August 2024 ist im ersten Teil des Konzertes ein über Auftrag des Orchesters für die erste Spielzeit von Rattle mit Unterstützung der Carnegie Hall New York und der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien entstandenes Werk des 1971 geborenen Briten Thomas Adés, eines zeitgenössischen Komponisten, den Rattle bereits seit seinen Tagen als Chefdirigent in Birmingham gerne und oft aufführt, zu hören: „Aquifer“ für Orchester, uraufgeführt am 14. März 2024 von Rattle und seinem Orchester im Herkulessaal der Münchner Residenz. Der Name des Werkes bezeichnet eine Gesteinsschicht, die Grundwasser speichern und leiten kann; diese Tätigkeit versucht der Komponist in Klänge bzw. Klangströme zu übertragen. Das inspirierte Werk ist für großes Orchester gesetzt, kommt sehr kurzweilig daher, weil permanent im Fluss, und wird vom blendend disponierten Orchester unter der leidenschaftlichen Leitung seines Chefdirigenten hervorragend, groß aufrauschend, umgesetzt.

Nach der Pause interpretiert Rattle mit „seinen“ Bayern die Symphonie Nr. 4 Es-Dur, die sog. „Romantische“, in der Fassung 1878-1880 von Anton Bruckner, dessen 200. Geburtstag in ein paar Tagen, konkret am 4. September 2024 gefeiert wird. Der britische Dirigent, einer der faszinierendsten unserer Tage, setzt von Beginn an auf eine forsche, zwingende, zügige Gangart, sodass das Werk – gespielt wird die Fassung aus 1878/1880 – kompakt, groß, rund und mächtig daherkommt. Trotz bisweilen sehr schneller Tempi gelingt Rattle, der auf Transparenz wie Detailgenauigkeit setzt, ein formidabler Spannungsaufbau, den er über die vier Sätze hin zu gestalten, auszubauen und zu halten weiß. Feine, zarte Lyrismen stehen neben mächtigen Steigerungen und eruptiven Klangentladungen, das Orchester zeigt sich von seiner besten Seite, phänomenal das Zusammenspiel von Holz und Blech, gebettet auf butterweichen, dennoch klaren Streicherklang. Magische Momente ergeben sich, wenn sich im Andante das Zirpen der Grillen im Grafenegger Schlosspark mit dem Orchesterklang vermischt. Der Solo-Hornist des Orchesters bewältigt seine herausfordernde Aufgabe in diesem Werk stilsicher wie mit Bravour, was ihm einen tosenden Extra-Applaus des Publikums beschert.

Bevor das Publikum in die Grafenegger Sommernacht entschwindet, gibt es lautstarken Jubel für Rattle und die Gäste aus Bayern für eine beeindruckende Bruckner-Interpretation.

Themenschwerpunkte
Portait Thomas Rauchenwald
Thomas Rauchenwald
Autor des Blogs „Simply Classic“

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert