„Bruckner ist definitiv einer meiner Lieblingskomponisten!“

Rèmy Ballot, einer der bedeutendsten Bruckner-Dirigenten unserer Zeit © Thomas Rauchenwald

Ein Gespräch mit dem Dirigenten und Violinisten Rèmy Ballot, einem der bedeutendsten Bruckner-Dirigenten unserer Zeit, der konsequent wie erfolgreich seinen eigenen Weg geht, anlässlich des 200. Geburtstages von Anton Bruckner – im Besonderen über das Außergewöhnliche in seiner Musik.

„Anton Bruckner ist definitiv einer meiner Lieblingskomponisten. In Bruckner ist alles vereint – Palestrina, die Wiener Klassik mit ihrer Disziplin, Form und Kompositionsprozessen in ihrer ganzen weiteren Entwicklung und auch Wagners Harmonik: Für mich bedeutet er einfach eine Synthese all dieser verschiedenen Richtungen, ist dennoch in einem unfassbar strengen Rahmen geblieben und hat sein Material sparsam eingesetzt. Dazu noch die unglaubliche Bedeutung und der spezielle emotionale Gehalt, den seine Musik vermittelt. Faszinierend ist auch, wie Bruckner diese Einheit in seinen Symphonien auf bis zu neunzig Minuten erweitert und einen endlosen Bogen über seine Werke legt, ohne in Programmmusik oder Rhapsodisches zu verfallen. Unfassbar ist auch die rein technische Erschaffung seiner musikalischen Sprache, die Weiterentwicklung mit Beethovens Symphonien -und Schuberts Großer C-Dur-Symphonie in Richtung der monumentalen Coda, zum Beispiel im Finale der IV. und VIII. Symphonie. Mit allen diesen Elementen, die ich erwähnt habe, erfüllt Bruckner verschiedene Archetypen, ruft also bestimmte Emotionen hervor und vermittelt bestimmte Bedeutungen.“

„Bruckner wird – vor allem in Frankreich – auch oft mit Wagner assoziiert, in erster Linie mit dessen Bombastik, was aber nicht zutrifft. Was haben die beiden nun gemeinsam? Die Akustik von St. Florian mit ihrer Räumlichkeit und ihrem Nachhall ist nicht ganz anders als jene in Bayreuth – das heißt, Bruckner und Wagner wurden inspiriert, in einer solchen Akustik eine sphärische Musik zu erschaffen und damit eine Art Transzendenz und Immaterialität des Klanges zu erreichen. Bruckner kommt dabei spirituell zuerst vom Katholizismus, Wagner aus einer anderen Ecke, aber am Ende treibt beide dieser gemeinsame Wunsch nach Transzendenz, was Bruckner wiederum so an Wagner geschätzt hat. Bruckner und Wagner sind gewiss im Klang und in ihren Klangräumen ähnlich, auch in der Vorliebe für das Blech, Bruckner ist aber absolut in strengen Formen – Fuge, Choral – geblieben, und hat dies großsymphonisch weiterentwickelt.“

„Bruckner ist absolut ein Meteorit, der vom Himmel gefallen ist, dessen Genie und Können nach wie vor unterschätzt ist – die Fuge seiner V. Symphonie hätte wahrscheinlich Bach neidisch gemacht. Dazu dieser Mut, Zeit und Raum zu erweitern, nehmen wir dazu als Beispiel das Adagio aus seiner VIII. Symphonie, die unglaubliche Länge seines Hauptthemas. Die Idee von Brillanz und Virtuosität äußert sich allein in seinen Symphonien, er hat keine Solokonzerte und nur ganz wenig Kammermusik komponiert. Brio, Leichtigkeit im Sinn von oberflächlich unterhaltsam, sind Aspekte, die ihn wahrscheinlich überhaupt nicht interessiert haben: Ein Allegro bei Bruckner ist nicht so wie bei anderen Komponisten. Er notiert „Bewegt, doch nicht zu schnell“, was im Grunde alles sagt. Er hat die Musik auf eine Ebene entwickelt, wo man diese Virtuosität und dergleichen nicht benötigt.“

„Was bedeutet „Bewegt“ bei Bruckner? Nicht unbedingt eine Geschwindigkeit, auch eine Bewegung eines innerlichen Gefühls, eines Charakters, wo der Mensch von etwas „bewegt“ wird. Emotional heißt eben nicht schnell. Oft hat er auch Satzbezeichnungen wie „Feierlich“ oder „Misterioso“ verwendet – da muss man aufpassen, dass man diese Passagen nicht zu schnell dirigiert, da sonst das Wesen seiner Musik verloren geht.“

„Seine Werke sind niemals der Virtuosität verpflichtet, sondern bedeuten Kraft, aber auch Sinnlichkeit und Gefühl. Bei Bruckner ist immer im Auge zu behalten: Was ist gedacht? Was ist die Funktion dieser drei Themen in seinen Symphoniesätzen? Bruckner verharrt auch nicht in der Schönheit seiner Musik. Nach einem herrlichen Choral entwickelt er das Material weiter, er will es uns nicht leicht machen, nie gefällig sein. Er baut Themen mit wenig Mitteln und erzeugt ungeheure Wirkung. Bruckner hat auch keine Musik zur Unterhaltung komponiert, sondern dazu, dass sich die Menschen damit auseinandersetzen, darauf einlassen. Langsam erobert er mit seiner Musik aber die Welt, er wird mehr und mehr gespielt, nicht nur im Jubiläumsjahr, weil er universal, archetypisch, nicht für sich, sondern für die ganze Menschheit komponiert hat. Bruckner hat zwar eine neue Sprache entwickelt, die an die Grenzen der Tonalität geht, hat aber immer Musik komponieren wollen, deren Grammatik man versteht. Seine Musik muss im Grunde so einfach und direkt wie Volksmusik sein.“

„Bruckner kann man nicht wie andere Komponisten musizieren, weil er eigene Mittel, eigene Gesetze und eigene Prozesse verlangt, andere Dimensionen erreicht hat. Die Kunst des Dirigenten ist es, diese ungeheuer gebauten Blöcke, die er komponiert hat, miteinander zu verbinden, um den großen Bogen der Architektur der Symphonien nicht zu zerstören und dabei die Spannung zu halten. Wenn ich Bruckner, der dreidimensional komponiert hat, dirigiere, berücksichtige ich auch den jeweiligen Raum und den Klang, auch was die Tempowahl betrifft, weil Charakter, Balance und Struktur des Werkes durch die falsche Geschwindigkeit nicht verloren gehen dürfen. Ich wähle immer Tempi, die von der Komposition und ihrer Struktur bestimmt sind, wobei das Wichtigste die Temporelationen innerhalb der Komposition darstellen. Seine Musik darf nicht zu schnell gespielt werden – je reicher die Musik, wie bei Bruckner, umso langsamer sollte das Tempo sein. Insofern folge ich denselben Ideen und Gedanken für Prozess und Klangentfaltung wie Celibidache, obwohl ich mich nicht an dessen Interpretationen orientiere. Eine ganz bewusste Tonerzeugung und Tonbildung sowie eine spezifische dynamische Gestaltung erfordert zum Beispiel auch die Stiftsbasilika St. Florian, wo ich sämtliche Bruckner-Symphonien inklusive der Symphonie in d-moll (Annullierte) bei den St. Florianer Brucknertagen musiziert habe. Bruckners Musik ist jedenfalls die offenste, humanistischste Musik, die für die Menschen komponiert wurde!“

„Was die Fassungen betrifft, bevorzuge ich diejenige, wo man weiß, dass der Impuls zur Revision von Bruckner selbst gekommen ist – das heißt die I. in der „Wiener Fassung“, die II. in beiden Fassungen, die III. natürlich in der ersten Fassung, die IV. in der dritten Fassung 1878 bis 1880, die V. jedenfalls nicht von Franz Schalk instrumentiert, von der VI. und VII. existiert ohnehin jeweils nur eine Fassung, die VIII. in beiden Fassungen – das sind im Grunde zwei verschiedene Symphonien, die IX. in der dreisätzigen Version, die vollendet unvollendet ist – oder unvollendet vollendet, wie man will – und mit dem Adagio im Grunde alles gesagt ist. Durchaus vorstellen könnte ich mir einmal, das Finale der IX. in der Fassung von Cohrs aufzuführen, würde diese Musik aber jedenfalls nicht nach dem dreisätzigen Werk, das uns Bruckner zur Gänze hinterlassen hat, spielen.“

„Jede Symphonie Bruckners hat für mich jeweils eine andere Botschaft, Entwicklung, Substanz und Ziel. Die Lösung davon kommt immer am Ende: Das hat er bereits mit den drei vollendeten Sätzen der IX. erreicht. Und eigentlich ist die großartige Coda des ersten Satzes ja bereits ein Finale. Bruckners Symphonien, die sein Inneres darstellen, muss man erlebt haben, dazu muss man auf eine Reise gehen.“

Bei GRAMOLA in Wien ist anlässlich des Jubiläumsjahres des genuinen österreichischen Symphonikers Anton Bruckner eine CD-Edition mit seinen sämtlichen Symphonien, alles unter der Leitung von Rémy Ballot „live“ in der Stiftsbasilika aufgenommen, erschienen. Der Zyklus gilt mittlerweile als eine Referenzaufnahme, Ballot hat für seine Einspielungen der Symphonien Bruckners zahlreiche Auszeichnungen gewonnen, darunter den Diapason d’or Découverte, viermal den Supersonic Preis des Onlinemagazins Pizzicato sowie mehrere Nominierungen für ICMA (International Classical Music Awards) und Grammy. Die Österreichische Nationalbibliothek wählte diesen Bruckner-Zyklus als Klangbeispiel für ihre große Jubiläumsausstellung „Anton Bruckner. Der fromme Revolutionär“ im Prunksaal der Nationalbibliothek aus.

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Portait Thomas Rauchenwald
Thomas Rauchenwald
Autor des Blogs „Simply Classic“

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