Aus Schuberts letztem Oeuvre – Späte Kammermusik im Wiener Konzerthaus

Isabelle Faust (Violine I), Jean-Guihen Queyras (Violoncello I), Anne Katharina Schreiber (Violine II), Antoine Tamestit (Viola) und Christian Poltèra (Violoncello II) im Wiener Konzerthaus © Thomas Rauchenwald

Fünf ausgewählte SolistInnen – neben den Violinistinnen Isabelle Faust und Anne Katharina Schreiber, u. a. Konzertmeisterin des Collegium Vocale Gent, der Bratschist Antoine Tamestit sowie die Cellisten Jean-Guihen Queyras und Christian Poltèra – haben am 24. Oktober 2024 im Mozart -Saal des Wiener Konzerthauses zusammengefunden, um im Rahmen des Zyklus Originalklang zwei der größten Kammermusikwerke von Franz Schubert bzw. der Kammermusik überhaupt zu musizieren. Und um es gleich vorwegzunehmen – ein paar kleine Unsauberkeiten der ersten Violine ausgenommen – ist an diesem Abend partnerschaftlich geprägtes Musizieren von grundsätzlich individuell ausgeprägten MusikerInnenpersönlichkeiten in seltenem Einklang zu erleben.

Speziell ist auch auf die Tatsache hinzuweisen, dass in diesem Konzert edle Instrumente erklingen, die das Herz jedes (Kammer)Musikfreundes höher schlagen lassen: Isabelle Faust spielt die „Sleeping Beauty“, eine Violine von Antonio Stradivari von 1704, Antoine Tamestit auf einer Viola von Stradivari von 1672, Jean-Guihen Queyras ein Cello von Pietro Guarneri von 1729 und, was eine Besonderheit sondergleichen darstellt, Christian Poltèra die legendäre „Mara“, ein Violoncello von Stradivari von 1711.

Im ersten Teil des langen Konzertes ist das Streichquartett G-Dur D 887, entstanden 1826, zu hören, Schuberts letztes Werk dieser Gattung, dessen Konflikte den Rahmen der bisher gewohnten Dimensionen, was Kammermusik betrifft, sprengt und das von Gegensätzen geprägten Werkes in seinem Umfang den großen, späten Streichquartetten von Beethoven ähnelt. Erstaunlich, wie das betont vibratoarme Musizieren von Faust, Schreiber, Tamestit und Queyras Schuberts Streichersatz bereits orchestrale Züge verleiht und das Quartett enorme Klangfülle bei dynamischer Kraft erzielt. Nahezu schon bedrohlich und beunruhigend, mit welch‘ strenger Unerbittlichkeit das Ensemble die Radikalität von Schuberts Rhythmik über die ganze Spieldauer von 45 Minuten entfaltet und durchzieht. Jubel vom Auditorium gibt es bereits vor der Pause.

Mit dem Streichquintett C-Dur D. 956, entstanden im Todesjahr 1828, zu erleben im zweiten Teil des Abends, vollendet Schubert seine Kammermusik für Streicher. Schubert löst sich in diesem Werk von der Tradition, dem klassischen Streichquartett eine zweite Bratsche hinzuzufügen, indem er die zweite Bratsche durch ein zweites Cello ersetzt und damit dem Vorbild Luigi Boccherinis folgt, wodurch das Werk ein von Grund auf volleres, dunkleres Timbre verliehen bekommt. Wird in der Aufführungspraxis meistens ein Streichquartett durch einen in erster Linie als herausragenden Solisten tätigen, zweiten Cellisten ergänzt, sitzen an diesem Abend zwei ausgewiesene Meistercellisten am Podium, gesellt sich für die Wiedergabe des Werkes zur von Faust, Schreiber, Tamestit und Queyras gebildeten Quartettformation eben noch Christian Poltèra, ehemaliger Schüler von Boris Pergamenschikov und Heinrich Schiff, dazu. Und die beseelte, erfüllte, nahezu grenzenlos schwebende Wiedergabe eines der großartigsten Werke der gesamten Musik gerät einfach über den Maßen beglückend. Man spürt förmlich den „himmlischen Längen“, die Robert Schumann an Schubert so bewunderte, in diesem einem einzigen großen Abgesang gleichkommenden Meisterwerk auf den Grund, sodass die Werkdauer von ungefähr einer Stunde an diesem Abend wie im Flug zu vergehen scheint. Was soll man aus dieser durch und durch gelungenen Wiedergabe herausgreifen? Am ehesten wohl das nahezu perfekte Konzertieren der fünf individuellen SolistInnen, die, fortwährend hochkonzentriert aufeinander hörend, sich die Themen und Phrasen mit spürbarer Musizierlust nur so zuspielen. Das Auditorium spendet am Ende großen, lautstarken Jubel.

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Portait Thomas Rauchenwald
Thomas Rauchenwald
Autor des Blogs „Simply Classic“

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