SALOME op. 54, Oper in einem Akt, eine der ersten Literaturopern, beruhend auf dem gleichnamigen Drama von Oscar Wilde, in der deutschen Übersetzung von Hedwig Lachmann, uraufgeführt am 9. Dezember 1905 am Königlichen Opernhaus Dresden, stellt mit ihrer ungemein farbigen, sinnlich expressiven Musik einen Meilenstein im Schaffen von Richard Strauss dar.
Am Pult des am Abend des 27. Januar 2025 im Grand Théatre de Genéve insgesamt hervorragend disponierten Orchestre de la Suisse Romande geht Dirigent Jukka-Pekka Saraste das Stück zunächst genüsslich verhalten an, lässt die Formation zu Beginn sanft und mild funkeln, dass die geniale Musik derart in sanft mediterranes Licht getaucht wird. Ausdruck und Dynamik werden im Laufe des Abends aber mehr und mehr gesteigert, die Musik brodelt, schillert, glänzt mehr und mehr, und, auch wenn die ganz große Orchesterekstase letztlich ausbleibt, steigert sich in einem immer gewaltiger anschwellenden Crescendo zu groß flutendem, mächtigem Klang; macht, derart wiedergegeben, richtig trunken. Diese Lesart unterstützt natürlich die Stimmen auf der Bühne, niemand wird zugedeckt, alle sind und bleiben immer hörbar und präsent, was eine Wohltat für die Textverständlichkeit darstellt. Eleganz, Klarheit und Noblesse verleiht der Dirigent dieser abgründigen Partitur, unter der die seelischen Abgründe lauern und ausbrechen.
Letzteren spürt auch der Regisseur der Genfer Neuproduktion erschütternd auf den Grund. Kornél Mundruczó, ungarischer Film- und Theaterregisseur, der sich in den letzten Jahren zunehmend auch diskussionswürdigen Operninszenierungen – zum Beispiel VEC MAKROPULOS in Antwerpen, LOHENGRIN in München – gewidmet hat, verlegt die biblische Handlung aus der in der Zeit von Jesus von Nazareth und Johannes des Täufers angesiedelten Stoffes in das 18. Stockwerk eines New Yorker Penthouses der Jetztzeit, wo Superreiche eine mit attraktiven jungen Frauen aufgepeppte Party feiern und, neben Komasaufen, Geld die Welt regiert. Salome ist ein verwöhntes, mit Koks vollgepumptes Girlie, der kein Wunsch abgeschlagen wird. In den Lift des Hochhauses hat sich auch Jochanaan verirrt, ein Gammler, Student an der Columbia-University, an der zuletzt antisemitischer Aktionismus von Ultralinken für Aufruhr sorgte. Der Tetrarch Herodes ist eine Figur, die stark an den neuen, alten amerikanischen Präsidenten Donald Trump erinnert: für wieviel Operninszenierungen wird der in den nächsten vier Jahren seiner Amtszeit herhalten müssen? Mundruczó gestaltet seine Inszenierung aber mit einer schon beklemmend intensiven, zwingenden Personenregie, die Personenführung ist subtil, schreckt auch vor irritierenden Exzessen nicht zurück: die Kindfrau Salome wird von ihrem Stiefvater Herodes brutal im Aufzug während des Schleiertanzes vergewaltigt und der findet das „herrlich“, „wundervoll“: der Regisseur bleibt trotz überbordernder Aktualität und Modernität seiner Inszenierung – die Ausstattung stammt von Monika Korpa, das Licht von Felice Ross – ganz hart am Libretto. Auf zwei Ebenen erzählt die Regie die Geschichte um die traumatisierte, missbrauchte Kindfrau, die sich in dieser Inszenierung sehr wohl darüber bewusst ist, was passieren wird, wenn sie den geilen Patriarchen und Despoten derart auflädt, und am Ende dann doch das erhält, was sie begehrt: zunächst auf einer krassen naturalistischen Ebene des dekadenten Festes, in der letzten Szene nach der Ermordung Johannes des Täufers dann surrealen Ebene gleich einem Film noir, wo ein überdimensionierter Kopf des Propheten auf die Bühne fährt und diese Installation begehbar und bespielbar ist. Diese intellektuell anregende, vielschichtige Inszenierung einer Endzeitgesellschaft, die in wohlstandsverwahrlosender Dekadenz verkommt, bespielt – gekonnt wie überzeugend – gleich drei zeitliche Ebenen: das biblische Palästina um Christi Geburt, das Fin de Siècle um die Wende zum 20. Jahrhundert der Uraufführung der Oper mit der aufkommenden Psychoanalyse Sigmund Freuds und die Zeit der Inauguration Donald Trumps zum amerikanischen Präsidenten 2025. Sarastes französisch angehauchte Nervenmusik und Mundruczós exzessive Übertreibungsszenerie gehen eine gelungene Symbiose ein, sodass echtes, wahrhaftes Musiktheater entsteht.
Die Oper Genf kann auch mit einer hervorragenden, ja exzellenten Besetzung aufwarten. Sämtliche kleinere Rollen sind sehr gut besetzt, lediglich die fünf Juden sollten noch ein wenig an der deutschen Artikulation arbeiten. Ena Pongrac gefällt mit schönem Mezzo als Page der Herodias, Matthew Newlin mit einnehmend schmelzreichem Tenor als Narraboth. Herodias ist nicht als hysterische Keife besetzt: Tanja Ariane Baumgartner singt sie mit jugendlich sinnlichem, vollem Mezzosopran. Herodes ist nicht nur ein neurotischer Perverser: John Daszak verleiht der Rolle des Vierfürsten heldentenoralen Applomb und begeistert mit seiner trumpartigen Darstellung, sodass es überhaupt nicht ins Gewicht fällt, wenn er hin und wieder nicht die richtige Tonhöhe trifft. Baritonal auftrumpfend, mit stimmlich großer Geste, gepaart mit dem Wohlklang des Predigers, gibt Gabor Bretz den Täufer. Höchst attraktiv, mit darstellerischem wie stimmlichem Totaleinsatz, gestaltet Olesya Golovneva die Titelrolle und findet zu einer schon toxischen Studie zwischen der Selbstherrlichkeit einer verzogenen Göre und der Tragik eines missbrauchten Kindes. Ihre Sopranstimme ist exzellent geführt, lediglich in der Mittellage ist hin und wieder unsicheres Tremolieren zu vernehmen, die dramatischen Ausbrüche aber gleichen Leuchtraketen, gehen durch Mark und Bein, provozieren Gänsehaut beim Hörer. Musikdrama vom Feinsten in Genf – zum Hören wie zum Sehen!