Modest Mussorgskis letztes Werk – das unvollendete Volksdrama CHOWANSCHTSCHINA – steht tief in der russischen Musiktradition, folgt dem Duktus der russischen Folklore, Rhythmus und Tonfall werden der russischen Sprache abgelauscht. Mehrere Komponisten versuchten eine Vollendung, zunächst Nikolai Rimski-Korsakow konventionell verharmlosend in geglätteter Harmonik. Der herb strengen Charakteristik von Mussorgskis Musiksprache entspricht am ehesten aber die dunkel schroffe Instrumentierung von Dmitri Schostakowitsch und wird das Grand Théâtre de Genève die Oper auch in dieser zur Aufführung bringen – jedoch mit dem effektvollen Schlusschor von Igor Strawinski als Finale, wo der kollektive Selbstmord der Altgläubigen in spirituell transzendente Sphären erhoben wird. Man könnte auch sagen, dass die ganze emotionale Tiefe von Mussorgskis mit Folklore angereicherter, subtiler Musik voller Modernität von Schostakowitsch‘ zwingender Orchestrierung und Strawinskys beeindruckendem Finale noch zusätzlich intensiviert wird.
Was die Handlung betrifft, stehen sich in CHOWANSCHTSCHINA drei gesellschaftlich politische Strömungen gegenüber: der Reformismus des Zarewitschs und späteren Zaren Peter I., des Großen, der Konservatismus der Bojaren und der Fanatismus der Altgläubigen. Eigentlicher Protagonist von Mussorgskis Geschichtsdrama ist aber das Volk. Die auftretenden Figuren sind als Repräsentanten bestimmter Volksgruppen von Bedeutung, weniger als selbständige Charaktere. Diese ungemein vielschichtigen Ebenen des Werkes stellen eine große Herausforderung für die Regie dar.
Einen starken, nachhaltigen Eindruck hat er hier bereits mit seinen Inszenierungen von Sergej Prokofieffs Krieg und Frieden (2021/22) und Schostakowitschs Lady Macbeth von Mzensk (2022/23) beim Publikum des Grand Théâtre de Genève hinterlassen – nun kehrt Calixto Bieito, dem ein Ruf als „Skandalregisseur“ vorauseilt, nach Genf zurück, um CHOWANSCHTSCHINA auf die Bühne zu bringen. Und wiederum darf eine bildgewaltige wie farbenreiche, unkonventionelle Inszenierung des Spaniers erwartet werden.
Die musikalische Leitung dieser Neuproduktion hat, wie in den ersten beiden Produktionen, erneut der argentinische Dirigent Alejo Pérez am Pult des Orchestre de la Suisse Romande.
Marfa, die wichtigste weibliche Figur dieser Oper, wird von der amerikanischen Mezzosopranistin Raehann Bryce-Davis verkörpert. In den männlichen Hauptrollen sind ausschließlich slawische Sänger aufgeboten: der Bass Dmitry Ulyanov als Fürst Ivan Chowansky, der in Genf bereits General Kutusow (Krieg und Frieden), Philipp II. (Don Carlo) und Boris (Lady Macbeth von Mzensk) interpretiert hat, der Bariton Vladislav Sulimsky als Bojar Shaklovity, der 2023 bei den Salzburger Festspielen die Titelrolle in Giuseppe Verdis Macbeth gesungen hat und diesen auch im kommenden Festspielsommer 2025 an der Salzach interpretieren wird, der russische Tenor Dmitry Golovnin als Fürst Vassili Golizyn, der polnische Tenor Arnold Rutkowski als Fürst Andrej Chowansky und der ukrainische Bass Taras Shtonda als Dossifei, der in dieser Partie bereits 2024 an der Staatsoper Berlin zu erleben war.
Das gewaltige Werk war in Genf zuletzt in der Spielzeit 1981/1982 zu sehen. Die mit Spannung erwartete Premiere der Neuproduktion geht am 25. März 2025 über die Bühne des Grand Théâtre de Genève.