Durch den krankheitsbedingten Abgang von Daniel Barenboim war ein Nachfolger als Generalmusikdirektor an der Berliner Staatsoper zu bestellen. Nun hat Berlins Kultursenator Joe Chialo endlich eine Entscheidung getroffen und einen Einheimischen an die Lindenoper berufen: Christian Thielemann.
Diese Bestellung ist wenig überraschend und bei allen Vorbehalten, die immer wieder gegen die Person des Dirigenten geäußert und falschen Gerüchten, die regelmäßig über Thielemann aufgebracht werden, die einzig richtige, was zu betonen ist.
Nicht nur, dass sich das Orchester, die Staatskapelle Berlin, und Christian Thielemann gegenseitig Rosen streuen: Zur Bewahrung des dunkel erdigen, dennoch leuchtend strahlenden Klanges der Kapelle gibt es wohl keinen Geeigneteren als Thielemann, der dasselbe Amt eines GMD um die Jahrtausendwende bereits im anderen Berliner Opernhaus, in der Deutschen Oper Berlin an der Bismarckstraße, innehatte. Der internationale Ruf des Hauses als „Winter-Bayreuth“ lässt sich auch nur durch einen in bester deutscher Dirigententradition – Strauss, Furtwängler, von Karajan, Konwitschny, Suitner, Barenboim waren Vorgänger an der Berliner Staatsoper – stehenden Ausnahmemusiker bewahren und kein Dirigent ist heute bei Richard Wagner und Richard Strauss definitiv so firm und formidabel wie Thielemann.
Am Pult ausschließlich im Dienst der Musik stehend, holt dieser Dirigent das Beste aus Musiker*innen wie Sänger*innen heraus. Seine Kompromisslosigkeit ist einer zwingenden Musikalität geschuldet, seine Auftritte sind niemals Show und hat er unabdingbare Vorstellungen davon, was er mit seinen Interpretationen will. Seine überzeugenden Ergebnisse erreicht er mittlerweile oft mit kleinsten Gesten, dazu kommen in den letzten Jahren eine Portion Humor wie zunehmende Gelassenheit. Elisabeth Sobotka, die designierte Intendantin des Hauses, die gewiss in die Entscheidung eingebunden war, und Senator Chialo waren diese Umstände bewusst – und wohl auch entscheidend im Hinblick auf andere Namen, die an der Gerüchtebörse als Nachfolger Barenboims für diese Spitzenposition kursierten.
Christian Thielemann wird sein neues Amt in Berlin im Herbst 2024 antreten, nachdem sein Vertrag als Chefdirigent der Staatskapelle Dresden ausläuft. Natürlich wird er weiterhin mit den Wiener Philharmonikern, zu denen eine exzeptionelle Partnerschaft besteht, „fremdgehen“ und auch die Wiener Staatsoper sollte sich über eine weitere, fruchtbare Zusammenarbeit mit dem Dirigenten freuen dürfen.
Natürlich wird Thielemann nicht schweigen, was moderne Inszenierungen im Rahmen des Regietheaters betrifft. Dass er damit umgehen kann, wenn die Inszenierungen trotz ihrer Radikalität aus dem Geist der jeweiligen Musik entwickelt wurden, hat er bereits eindrucksvoll unter Beweis gestellt – bei Tobias Kratzers „Tannhäuser“ in Bayreuth, bei Dmitri Tcherniakovs „Ring des Nibelungen“, den er im vergangenen Herbst spontan von Barenboim übernommen hatte. Wenn diese unabdingbare Voraussetzung, dass die Regie im Einklang mit Musik und Text des Werkes steht, Gefahr läuft, nicht erfüllt zu werden, wird – und muss er auch – als Dirigent völlig zu Recht seine Stimme gegen allzu selbstverliebte Selbstdarsteller an Regisseur*innen erheben.
Was das Konzertrepertoire betrifft, setzt Thielemann Maßstäbe bei Beethoven, Schumann, Brahms Bruckner und Strauss und darf sich die Staatskapelle Berlin, was Klassik, Romantik und Spätromantik betrifft, auf herausragende Konzerte mit ihm freuen – zunächst im Abonnementkonzert III der laufenden Saison am 20. und 21. November 2023, wo Thielemann Anton Bruckners V. Symphonie dirigieren wird. Der Berliner Staatsoper Unter den Linden steht jedenfalls eine aufregende wie spannende Zeit mit ihrem neuen Generalmusikdirektor bevor, wobei die große musikalische Tradition des Hauses auf das Beste weiterbestehen wird.