Der erste Bericht nach der Winterauszeit gilt einem traurigen Anlass: Am 6. Februar 2024 ist der am 1. September 1935 in Shenyang, Mandschukuo (heute Volksrepublik China) geborene, japanische Dirigent Seiji Ozawa in Tokio gestorben. Nachdem er ursprünglich Pianist werden wollte, zwang ihn ein Unfall beim Rugby auf die Fächer Komposition und Dirigieren umzusatteln und er sollte ein Großer der Dirigentenzunft werden. Als einstiger Stipendiat von Herbert von Karajan und Assistent von Leonard Bernstein hatte er die weltbesten Orchester dirigiert – die Wiener Philharmoniker ebenso wie die Berliner Philharmoniker, das Chicago Symphony Orchestra, das London Symphony Orchestra und das Boston Symphony Orchestra, um nur einige zu nennen. Beim letztgenannten Orchester wurde er 1973 dessen Musikdirektor und blieb in dieser Position bis 2002. Es gab in jüngerer Zeit nur wenige Dirigenten, die so lange mit einem großen Orchester kontinuierlich zusammenarbeiten konnten.
Neben dieser Tätigkeit und seinem Bemühen um die Ausbildung junger Musiker*innen in Tanglewood, der Sommerresidenz dieses Orchesters, stellt die Gründung des „Saito Kinen Orchestra“ (benannt nach seinem Lehrer in Tokio, Hideo Saito) zweifellos eine seiner herausragendsten Leistungen dar.
Von 2002 bis 2010 in der Direktion von Ioan Holender war Seiji Ozawa auch Musikdirektor der Wiener Staatsoper, wo er gemeinsam mit Holender 2003 die jeweils am Tag nach dem Opernball stattfindende „Zauberflöte für Kinder“ ins Leben gerufen hatte: „Wir müssen alles daransetzen, den Kindern die Schönheit der Musik nahezubringen!“, lautete das Credo des immer bescheidenen, herzlichen, überaus liebenswürdigen Menschen Ozawa.
Der Musiker und Dirigent Ozawa war ein ausgewiesener Kenner des Konzert- und Opernrepertoires. 2002 hatte er auch das Neujahrskonzert der Wiener Philharmoniker dirigiert, welches noch immer das meistverkaufte ist. Im Jahre 2008 leitete Ozawa die Gedenkkonzerte der Berliner Philharmoniker zu Ehren des 100. Geburtstages von Herbert von Karajan, wobei im Goldenen Saal des Wiener Musikvereins das Konzert für Violine und Orchester op. 61 von Ludwig van Beethoven mit Anne Sophie Mutter als Solistin und die Symphonie Nr. 6 op. 74, die „Pathetique“, von Peter Iljitsch Tschaikowsky programmiert wurden.
Maßstäbe in der Oper hat er vor allem im russischen Repertoire gesetzt – diesbezüglich unvergessen sind seine Dirigate von „Evgeny Onegin“ und „Pique Dame“ von Tschaikowsky an der Wiener Staatsoper, welche die Trauerflagge für ihren ehemaligen Musikdirektor gehisst hat
Bei den Salzburger Festspielen zählten zu den Sternstunden seiner Dirigate 1984 Gustav Mahlers Symphonie Nr. 2, die „Auferstehungssymphonie“, sowie 1988 Arthur Honeggers dramatisches Oratorium „Jeanne d’Arc au bucher“ mit Marthe Keller als Sprecherin.
Persönlich in Erinnerung haftet noch eine besonders farbige Wiedergabe von Richard Strauss‘ „Eine Alpensinfonie“ mit den Wiener Philharmonikern im Großen Musikvereinssaal in Wien.
Von seinen vielen Einspielungen empfohlen seien die Symphonien Gustav Mahlers mit dem Boston Symphony Orchestra für Philips, wiederaufgelegt bei Decca.
Die Klassikwelt trauert um einen großen Menschen wie großen Musiker.