Zum Tod eines großen Komponisten

Wolfgang Rihm (1952 - 2024) © NDR

Für mich ist Kunst eine andere Form von Atmung, von Hingabe, von Erschrecken und Umarmung und Schönheit und Furcht, von Erhabenem und Niedrigem in unauflöslicher Mischung„, wie er selbst einmal gesagt hat, „Musik muss voller Emotion sein, die Emotion voller Komplexität“, und „Kunst machen heißt immer, sich angreifbar zu machen. Das muss man aushalten, dem muss man sich überlassen. Um unangreifbar zu sein, muss man entweder Kritiker werden oder Bankdirektor. Aber man darf nicht Künstler werden.“ – wobei diese Überzeugungen auch in seinem Werk weiterleben.

Nicht mit Wien, aber mit den Salzburger Festspielen war er mehr als 40 Jahre untrennbar verbunden. Seine Werke Mein Tod. Requiem in memoriam Jane S. im Jahr 1990, Lavant-Gesänge 2003, das Konzert für Violoncello und Orchester 2006 sowie das Zweite Klavierkonzert 2014 wurden dort uraufgeführt, ebenso 2010 seine Opernphantasie Dionysos. Das Festival an der Salzach widmete ihm 2000 mit sieben Konzerten („Portrait Wolfgang Rihm“), 2010 mit zehn Konzerten („Kontinent Rihm“) und zuletzt 2022 („Homage Wolfgang Rihm“) jeweils eigene, spezielle Konzertreihen. 2015 wurde dort zudem sein Musik-Theater Die Eroberung von Mexiko herausgebracht.

Äußerst fantasievoll, schaffensfreudig wie selbstreflektierend hat er ein großes Werk geschaffen, mehr als 400 Kompositionen aus allen musikalischen Gattungen. Neben vielen Kompositionen für kleinere Besetzungen und drei Symphonien schrieb er vor allem Bühnenwerke – neben den bereits erwähnten u. a. die Kammeroper Jakob Lenz, Die Hamletmaschine, ein Musiktheaterstück in fünf Teilen nach dem gleichnamigen Theaterstück von Heiner Müller, Oedipus nach bzw. mit Texten von Sophokles und Proserpina nach dem gleichnamigen Stück von Johann Wolfgang von Goethe. Zu seinen späteren Arbeiten zählen noch ein Hornkonzert und sein Triptychon und Spruch in memoriam Hans Henny Jahnn, eine Komposition anlässlich der Eröffnung der Elbphilharmonie 2017.

Ästhetische Vorbilder für einen großen Intellektuellen unter den modernen Tonsetzern waren – neben anderen – Hans Werner Henze, Karlheinz Stockhausen, Luigi Nono, Pierre Boulez, Friedrich Nietzsche, James Joyce und Georg Baselitz.

Seine frühen Werke knüpfen an eine Tradition an, die von den späten Instrumentalwerken Ludwig van Beethovens bis zu Arnold Schönberg, Alban Berg und Anton Webern reicht. Die mittlere Schaffensphase ist betont ausdrucksknapp, die späteren Werke, ab der 1990er Jahre, entwickeln sich „weg von der Emphase des Einzelereignisses hin zu einem Konzept des Fließens, der Gestaltung größerer Zusammenhänge“ (Max Nyffeler), wie zum Beispiel das von Anne-Sophie Mutter 1992 uraufgeführte, gesangvolle Violinkonzert Gesungene Zeit.

Geboren wurde er am 13. März 192 in Karlsruhe. Individuell wie unverwechselbar war er mit seiner stark emotionalen, subjektiven, prägnant komplexen wie auch melosartig fließenden Musik. Am 27. Juli 2024 hat der große deutsche Komponist, einer der wichtigsten und bedeutendsten seiner Generation, Wolfgang Rihm, in Esslingen seinen Kampf gegen den Krebs verloren.

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Portait Thomas Rauchenwald
Thomas Rauchenwald
Autor des Blogs „Simply Classic“

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