Die Opernwelt ist zutiefst betroffen und trauert fassungslos um einen großen Wagner-Tenor: Der 1962 in Roanoke, Virginia, geborene US-amerikanische Sänger Stephen Gould ist, nachdem er im vergangenen August sein Karriereende aus gesundheitlichen Gründen bekannt gegeben hatte, an den Folgen einer schweren Krebserkrankung am 19. September 2023 verstorben.
Ausgebildet am New England Conservatory of Music in Boston war er jahrelang als Musicalsänger tätig und hatte zum Beispiel zunächst hunderte von Vorstellungen in Das Phantom der Oper von Andrew Lloyd Webber gesungen, bevor er einen Fachwechsel zum Heldentenor vornahm, seine Opernkarriere am Landestheater Linz begann und später zu den weltweit gefragtesten und bekanntesten Heldentenören und Wagner-Interpreten unserer Zeit zählte. Der herausragende Sänger – bei ihm gab es nie Kompromisse, was Stimmkultur, Kraft und Phonation betraf – war nebenbei auch ein überzeugender Darsteller; seine Interpretationen waren von Intellekt und Musikalität erfüllt, was ihn zu einem Ausnahmesänger avancieren ließ. Allen, die mit ihm gearbeitet haben, war er auch immer ein geschätzter Kollege und Freund. Ein besonderes Kennzeichen seiner überragenden sängerischen Persönlichkeit war seine außergewöhnliche, intensive Rollendurchdringung: Wer ihn je auf der Bühne die „Romerzählung“ in Tannhäuser oder den dritten Akt von Tristan und Isolde gestalten hören durfte, weiß, was ich meine.
Seine zahlreichen Engagements führten ihn u.a. zu den Salzburger Festspielen, an die großen internationalen Opernhäuser in Europa und Amerika sowie nach Japan. Die Zentren seiner Kunst, wo ihn das Publikum liebte, waren aber die Bayreuther Festspiele, wo er zwischen 2004 und 2022 nahezu 100 Vorstellungen gesungen hat und die Wiener Staatsoper, wo er ebenso 2004 debütierte und in 105 Vorstellungen auf der Bühne gestanden ist.
Neben Florestan in Ludwig van Beethovens Fidelio, Otello von Giuseppe Verdi, Bacchus in Ariadne auf Naxos und Kaiser in Die Frau ohne Schatten von Richard Strauss, Paul in Erich Wolfgang Korngolds Die tote Stadt sowie Peter Grimes von Benjamin Britten hat er oft auch das Tenorsolo in der IX. Symphonie von Ludwig van Beethoven gesungen.
Das Zentrum seines Wirkens waren jedoch die großen Tenorpartien von Richard Wagner – Erik in Der fliegende Holländer, Tannhäuser, Lohengrin, Tristan in Tristan und Isolde, Siegfried in Siegfried und Götterdämmerung in Der Ring des Nibelungen und Parsifal. Der Wagner-Gesang war nach eigenem Bekunden für ihn reine Meditation, ein Mantra.
Gould lebte abwechselnd in den USA und in Wien. Er sprach fließend Deutsch und hielt es für unerlässlich, dass ein Wagnersänger in Deutschland oder in Österreich lebt: „Denn mit einem Coach allein kann man Wagner nicht lernen.“, wie er selbst bekannte.
2015 wurde Stephen Gould zum österreichischen Kammersänger ernannt, eine Auszeichnung, die für ihn von großer Bedeutung war. „Es ist das Höchste, was ein Künstler erreichen kann.“, wie er bei der Verleihung betonte.
Glücklicherweise kann man Stephen Gould in einigen wenigen Aufnahmen auf Compact Disc hören – zum Beispiel in Beethovens IX. Symphonie unter Donald Runnicles. Wenn man Gould am Höhepunkt seiner stimmlichen Möglichkeiten erleben möchte, höre man ihn als Tristan und Siegfried unter Marek Janowski. Und ein besonderes Tondokument ist der Mitschnitt von 2019 aus der Wiener Staatsoper anlässlich der 150-Jahr-Feierlichkeiten des Hauses von Strauss‘ Die Frau ohne Schatten mit Gould als Kaiser und erstklassiger orchestraler Kulisse unter Christian Thielemann.
Vielen Dank, Stephen Gould, für die unvergesslichen Abende, die ich in Wien, Hamburg, Bayreuth und Salzburg von Ihnen erleben durfte! RIP.
Kommentare
Lieber Thomas
Danke für Ihren schönen Nachruf! Ich habe ihn eben auch auf Bluesky geteilt und werde ihn noch auf Twitter (X) teilen. Die Visitenkarten liegen auf – und habe auch schon aktiv mitgegeben. Auf Twitter haben sich einige explizit gefreut über das Teilen von „Simply Classic“.
Ich hoffe, dass sich das dann auch irgendwie niederschlägt…
Beste und liebe Grüße
Alexandra