Der Sturm auf das Kapitol ist aktuell – Mozarts LA CLEMENZA DI TITO in Salzburg

Cecilia Bartoli (Sesto) und Daniel Behle (Tito) © SF/Marco Borrelli

Bei der Opera seria in zwei Akten KV 621, „La clemenza di Tito“, von Wolfgang Amadeus Mozart mit dem Libretto von Caterino Tommaso Mazzolá nach dem Dramma per musica von Pietro Metastasio handelt es sich um eine Festoper anlässlich der Krönung von Kaiser Leopold II. zum König von Böhmen in Prag. Im Grunde durchleuchtet das Stück mit den großen Themen Freundschaft, Verrat, Machthunger, Vergebung, Gesetz, Gnade, Strenge und Milde die Irrungen der Liebe, was in der erfrischend modernen, betont aktuellen, politisierenden Inszenierung von Robert Carsen, die von den Pfingstfestspielen ins Sommerprogramm der Salzburger Festspiele übernommen wurde, noch immer deutlich zu erkennen ist. Dem Regisseur, der gemeinsam mit Peter van Praet auch für das Licht verantwortlich ist, unterstützt von Gideon Davey (Ausstattung), gelingt es überzeugend, das emotionale Spinnengeflecht der handelnden Personen deutlich sichtbar zu machen, indem er das Stück als Thriller inszeniert. Der heutige Polit-Alltag darf da natürlich nicht fehlen: Carsen zeigt das römische Parlament, beim Sturm auf das Kapitol blendet er etwas vordergründig aktuelle Bilder aus Washington ein. Die Darstellerinnen der Hosenrollen dürfen Frauen sein, was einen fließenden Wechsel zwischen den Geschlechtsidentitäten ermöglicht. Soll so sein: Die handwerklich solide Regiearbeit kommt beim Publikum sehr gut an. Allerdings misstraut der Regisseur der Milde des Herrschers: Am Ende triumphiert Vitellia, Titus wird von ihren Schergen ermordet, wohl nicht im Sinne Mozarts.

Dass das Publikum dennoch begeistert ist und am Schluss mit Jubel nicht geizt, liegt auch an der hervorragenden musikalischen Seite dieser Wiederaufnahme. Am Pult des Ensemble Les Musiciens du Prince – Monaco steht Gianluca Capuano, die spielfreudige Formation fegt nur so durch den Raum: Rasant, höchst akzentuiert, mit Furor und zwingenden Tempi setzt er Mozarts späte opera seria gekonnt um, die Klangfarben der Originalinstrumente ergeben einen eigenen Reiz in Verbindung mit Mozarts herrlicher Musik.

Und auch die stimmliche Seite der Produktion gerät erfreulich. Die Titelrolle von Mozarts milden, gütigen Kaiser wird von Daniel Behle verkörpert, der neben fein lyrischen, auch einen virtuosen, wo erforderlich, enorm kräftigen, starken Mozart-Tenor vernehmen lässt, hervorragend gelingt auch seine überzeugende Rollengestaltung. Sehr gute stimmliche Leistungen erbringen auch Mélissa Petit (Servilia), Anna Tetruashvili (Annio) und Ildebrando D‘Arcangelo (Publio). In der Rolle der Vitellia brilliert mit furiosem, starkem Sopran Alexandra Mercier mit nur in der Höhe gelegentlich auftretenden Schärfen. Und Publikumsliebling Cecilia Bartoli, die stimmlich, wie gewohnt, alle Register zieht, begeistert als verzweifelter Sesto. Die Partien von Sesto und Vitellia hat Mozart auch mit den populärsten der Oper, gleichzeitig zwei seiner schönsten Nummern überhaupt, versehen: Sestos Arie „Parto, ma tu ben mio“ sowie Vitellias Rondo „Non piu di fiori“ schmückt der Komponist mit einer obligaten Instrumentalstimme für seinen Freund Anton Stadler – und wenn sich zu den beiden wunderbar geführten Singstimmen die Klarinette und das Bassetthorn von Francesco Spendolini gesellen, darf man am Nachmittag des 9. August 2024 im Haus für Mozart in Salzburg pures Opernglück erleben.

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Portait Thomas Rauchenwald
Thomas Rauchenwald
Autor des Blogs „Simply Classic“

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