Am Samstag den 12. April 2025, stand im Rahmen der Festtage der Berliner Staatsoper Unter den Linden wieder „Parsifal“, Richard Wagners 1882 in Bayreuth uraufgeführtes Bühnenweihfestspiel in drei Aufzügen, auf dem Programm und geraten Wagners Weihen zur reinsten Wonne.
Was die musikalische Seite der Aufführung angeht, steht mit Philippe Jordan der Generalmusikdirektor der Wiener Staatsoper am Pult der Staatskapelle Berlin, ursprünglich sollte ja noch Daniel Barenboim diese „Parsifal“-Serie dirigieren. Gewiss, die Tempi sind vor allem im ersten, 105 Minuten dauernden Aufzug nicht zügig, aber welche Dramaturgie steckt da dahinter, welche immens vibrierende Innenspannung wird da erzeugt, sodass die Musik bisweilen förmlich rot-weiß glüht. Auch ist der immer höchst durchsichtige Orchestersatz bei mächtig großem Klang zu bewundern, führt Jordan die Staatskapelle auf exzellente Art und ist den SängerInnen ein unterstützender Partner. Der zweite Aufzug gerät mit 70 Minuten dramatisch aufgeladen, flirrend und hochexpressiv, der dritte flutet nach 75 Minuten wunderbar ergreifend aus. Die Kapelle liefert enorm an diesem Abend, wie aus dem Publikum zu vernehmen ist – wie auch René Pape als Gurnemanz und ist der Dresdner Bassist nach wie vor wohl konkurrenzlos in dieser Rolle, vor allem, was seine Rollengestaltung im dritten Akt betrifft. Stärker im Ausdruck, milder, erhabener, weiser und wärmer als mit dieser großartig geführten Bassstimme kann diese Partie einfach nicht gesungen werden, die fein austarierte Artikulation und Diktion des Sängers kommt im nicht allzu großen Haus hervorragend zur Geltung. In seiner stetigen (Weiter)Entwicklung nunmehr am Ende angelangt, ist Andreas Schager als Parsifal: sein kerngesunder, robuster, metallisch heller Tenor findet zu immens starken Nuancierungen wie Differenzierungen in Ausdruck und Gestaltung. Tanja Ariane Baumgartner ist als Kundry für die ursprünglich angekündigte Elina Garanca eingesprungen und lässt mit ihrer ausnehmend gut fokussierten, starken Stimme ein erotisch aufgeladenes, bisweilen loderndes Rollenporträt vernehmen, das auch bei der hohen Textur am Ende des zweiten Aktes noch überzeugt. Lauri Vasar leidet verhalten dumpf als Amfortas, ein echter Schmerzensmann, bemüht sich um eindringliches Singen, sein Bassbariton verfügt aber nicht um die erforderliche Phonation, um in der Rolle im Verein mit den anderen ProtagonistInnen wirklich zu überzeugen. Neurotisch beißend mit starker Stimme gibt Tomas Tomasson den Klingsor, Stefan Cerny ist ein großer, gewaltiger Titurel. Prächtig differenziert singt der von Gerhard Polifka einstudierte Berliner Staatsopernchor.
Mit seinem letzten Bühnenwerk, das er ursprünglich nur Aufführungen im Bayreuther Festspielhaus vorbehalten wollte, hat Wagner versucht, der Welt die von ihm selbst geschaffene Kunstreligion nahezubringen und verknüpft darin christlichen Mythos mit buddhistischen Elementen und Reflexionen aus der Philosophie Schopenhauers. Während des Abendmahls und jedes Mal, wenn das Sakrament der Heiligen Eucharistie begangen wird, werden Brot und Wein in das Fleisch und das Blut Christi verwandelt. In „Parsifal“ hingegen kehrt sich der Vorgang um: Blut und Fleisch werden zu Brot und Wein – und ist die Inszenierung von Dmitri Tcherniakov diesbezüglich ganz nahe am Stück. Jesus Christus, der Erlöser, hat sich im Gral verdinglicht, das von Amfortas entweihte Heiligtum erfährt seine neue Weihe durch das Schließen der Wunde des sündigen Gralshüters mit dem Lanzenspeer, der vom welthellsichtig gewordenen Parsifal wiedergewonnen wurde und wird so auch „Erlösung dem Erlöser“ zuteil: Tcherniakov gelingt es, den letzten Vers von Wagner mit seiner gewiss radikalen, mitunter abgründig schmerzlichen Regiearbeit einleuchtend zu verdeutlichen. Ein wenig verstörend gerät immer die Klingsor- und Blumenmädchenszene im zweiten Akt: Lustgreis Klingsor in Strickweste und mit Filzpantoffeln sowie mit Krankenkassenbrille, der sich an kleinen, mit Kundry gezeugten Mädchen in Blümchenkleidern begeilt, erinnert ganz stark an einen gewissen Herrn Josef Fritzl im westniederösterreichischen Amstetten, der seine eigene Tochter von 1984 bis 2008 in einem Kellerverlies eingesperrt, missbraucht und mit ihr Enkelkinder gezeugt hatte. Die Bilder aber im ersten Akt, wo Amfortas von den Gralsrittern quasi ans Kreuz geschlagen, dann sein Blut aus derselben Seitenwunde wie jener Christi in ein Gefäß abgezapft und hochgehalten wird, anschließend jeder mit seinem Holzbecher mit ausgestreckten Armen etwas davon erhaschen möchte, sind gewiss drastisch, aber beeindruckend unter die Haut gehend und schaffen desolate Stimmungen wie Gemälde eines Ilja Repin, wie Szenen aus einem Film von Andrej Tarkowski …
Alles in allem ein fulminanter „Parsifal“ mit echtem Festtagsniveau in Berlin. Und nicht nachvollziehbar die Tatsache, dass man einen solchen Dirigenten wie Jordan in Wien an der Staatsoper mit Ende der aktuellen Saison als Generalmusikdirektor ziehen lässt.