Emilia Marty als alte, einsame, eisige Frau: Dorothea Röschmann in VEC MAKROPULOS

Dorothea Röschmann als Emilia Marty beim Gastspiel der Berliner Lindenoper in Brno © Thomas Rauchenwald

Für die Hauptfigur – Emilia Marty – seiner 1928 in Brünn uraufgeführten Oper VEC MAKROPULOS – DER FALL MAKROPULOS empfand Leos Janàcek besondere Leidenschaft wie Mitgefühl – „Eine Schönheit, 300 Jahre alt – und ewig jung – aber nur ein ausgebranntes Gefühl! Brr! Kalt wie Eis! Aber ich werde es wärmer machen, damit die Leute Mitgefühl dafür haben. Ich werde mich noch in sie verlieben.“ – Die Uraufführung erlebte dann einen beispiellosen Triumph: „Die Kälte hatte einen unerwarteten Erfolg! Schüttelfrost lief jedem über den Körper. Man sagt, es sei mein größtes Werk!“ – wie sich der Komponist erinnert. Das Stück, das gewiss zu den besten Werken des Musiktheaters des 20. Jahrhunderts zu zählen ist, wird im Rahmen von Festival Janacek Brno 2024 nun in einer Produktion der Berliner Staatsoper Unter den Lindenaus dem Jahr 2022, die zu diesem Zweck mit einem exzellenten Ensemble zum ersten Mal in Brünn gastiert, gezeigt.

Wird die Hauptrolle – Emilia Marty ist eine der größten wie schönsten Herausforderungen für eine Singdarstellerin überhaupt – interpretiert wie am 16. November 2024 im Brünner Nationaltheater, muss man diese Frau einfach lieben. Dorothea Röschmann scheint nach ein paar Aufführungen in Berlin die überaus komplexe Rolle, die ein summa summarum sämtlicher Frauengestalten Janáceks darstellt, bereits verinnerlicht zu haben. Mit einem Totaleinsatz – darstellerisch fast bis zur Selbstentblößung, ja zur Selbstaufgabe, stimmlich mit enormer Intensität – wirft sie sich förmlich in diese Rolle, wobei es ihr gelingt, diese Intensität von Akt zu Akt zu steigern, um am Schluss gleichsam mit schier unfassbarem Gesangsmelos in der Rolle aufzugehen. Das Bekenntnis ihrer Liebe zu Pepi Prus – „Ja ho mela rada.“(„Denn ihn liebte ich wirklich.“) – , in der Wiederholung – „Jeho jsem mela rada,“ („Ja, den liebte ich wirklich.“) – noch eindringlicher, schleudert sie förmlich heraus und bewegt, ja berührt dann ungemein mit dem Bekenntnis „Ta hroznà samota!“ (Welch‘ furchtbare Einsamkeit!“). „Ich will, dass alle sie (Elina Makropulos) lieb haben. … Ohne Liebe geht es bei mir nicht!“ hatte Janácek an seine Angebetete und Muse Kamila Stösslová geschrieben – und Dorothea Röschmann vermag das einfach ergreifend umzusetzen. Selten hat man eine derartig ergreifende Rollengestaltung – bar jeglicher Erotik, das Porträt einer alten, einsamen, eisigen, leeren, gequälten, lebensüberdrüssigen, seelisch ramponierten Frau – erlebt. Und wie Frau Röschmann in der fulminanten Schlussszene – wohl einer der packendsten, stärksten Opernschlüsse – ihren herb kühlen, aber gleichsam sinnlichen Sopran strömen lässt und, wie von Janácek gefordert, dann wirklich singt und jegliche Deklamation hinter sich lässt, ist ganz großer Operngesang, ganz große Kunst.

Der Regisseur dieser Produktion von „Makropulos“, diese Dokumentation eines absurd komplexen Erbschaftsstreits, Kriminalstück, Metaoper mit einer Sängerin, die eine Sängerin spielt, Abhandlung über Sinn und Unsinn der Unsterblichkeit des Menschen, heißt Claus Guth und der geht in seiner eigenen Art Janàceks Meisterwerk ganz auf den Grund. Die Vorlage von Karel Capek, die ja eine Komödie, keine kriminalistische Tragödie wie Janáceks Adaption derselben für die Oper darstellt, nie außer Acht lassend, entwickelt er eine kleinteilig kleinzeilige Inszenierung ganz im Einklang mit der aus der mährischen Sprachmelodie entwickelten, großartigen Musik Janáceks – ein Umstand, der der Regie gar nicht hoch genug angerechnet werden kann. Personenregie wie Personenführung sind höchst subtil, stark psychologisch fundiert und fokussiert, beinahe ein wenig surreal, auch im engen Einklang mit dem Stück stehend. Vor Beginn und vor jedem Akt gibt die Bühne jeweils einen Blick frei auf einen weißen, sterilen, vereisten Raum, wo man Atemgeräusche ähnlich eines in einem Sauerstoffzelt an eine Beatmungsmaschine angeschlossenen Menschen zu vernehmen meint. In diese Kälte zieht sich Emilia Marty mit Glatze immer wieder zum Umkleiden für den nächsten Akt zurück: Als Anspielung auf Eugene Ionescos „kahle Sängerin“? Als von Leben zu Leben mutierende Frau?

Dass man fast benommen, erschlagen und wie trunken nach dieser Musik in den Brünner Vollmond-Nachthimmel tritt, dafür sorgt zusätzlich Robert Jindra, Musikdirektor am Nationaltheater Prag, mit der groß und klangstark aufspielenden Staatskapelle Berlin. Schon zu Beginn in der Ouvertüre mit den Bläserfanfaren gelingt es hervorragend das wundersam geheimnisvoll hereinklingende, alchimistische Prag Kaiser Rudolfs II. einzufangen wie zu beschwören. Jindra und das hervorragend aufgestellte Orchester machen alle Instrumentallinien hörbar, steigern die Vehemenz und Spannung kontinuierlich, um den hymnisch hypnotischen Schluss in einer nahezu verklärten Apotheose triumphal ausklingen zu lassen: Genauso muss diese Musik, muss Janácek klingen. Trotz seines zwischendurch immer wieder mächtig aufrauschenden Dirigats ist Jindra der Bühne immer ein kongenialer Partner, deckt niemanden zu und trifft das tschechisch-mährische Idiom dieser Musik genau. Der warme, dunkel erdig grundierte Klang der Berliner Staatskapelle steht dabei im wunderbaren Gegensatz zur schroffen, bisweilen kalten wie dissonanten Partitur Janàceks.

Stark agieren an diesem Abend auch die Übrigen: Herausragend entpuppt sich dabei als echter Gegenspieler der Marty, der Einzige auf Augenhöhe, Adam Plachetka mit mächtigem Bariton als imposanter Baron Jaroslav Prus, ist Jan Martinik in diesem Spiel mit kräftigem Bass als Dr. Kolenaty tunlichst nicht zu unterschätzen und bemüht sich Ales Briscein mit dünnem, höhengefährdetem Tenor nach Kräften um lyrische Emphase in der undankbaren Rolle als Albert Gregor. Was die Tenöre – immer schwächelnd bei Janàcek – anbelangt, agiert Stephan Rügamer als Vitek am stärksten und wäre mit seinem hellen, aber kräftigen Tenor an diesem Abend wohl die geeignetere Besetzung für Gregor gewesen; rollenimmanent mit kleinem Tenor bemüht sich Linard Vrielink als Janek Prus. Rollendeckend besetzt sind die kleinen Partien, woraus Natalia Skrycka und Jan Jezek als Hauk-Sendorf herausragen.

Frenetischer Jubel des Publikums zu Recht nach dieser Aufführung: Wo immer diese Produktion noch gezeigt wird, sollte man wieder hin!

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Portait Thomas Rauchenwald
Thomas Rauchenwald
Autor des Blogs „Simply Classic“

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