JENUFA In der Urfassung von 1904 beim Festival Janàcek Brno 2024: Musikalisch höchst authentisch, mit mehr als entbehrlicher Regie

Jenufa in der Urfassung beim Janacek Festival Brno 2024 - Raman Hasymau, Eliska Gattringerovà, Anna Novotnà Peskovà, Barbora Pernà und Josef Moravec © Thomas Rauchenwald

JENUFA, Oper in drei Akten, nach dem Schauspiel „Ihre Ziehtochter“ („Jeji pastorkyna“) von Gabriela Preissovà, mit dem Libretto vom Komponisten, brachte Leos Janàcek den Durchbruch und legte den Grundstein für weitere Erfolge. Heute wird die Oper zumeist in der »Brünner Fassung von 1908« aufgeführt, die das Ergebnis einer Reihe von Modifikationen, die Janáček vornahm, darstellt. Für eine Neuproduktion am Mährischen Theater Olmütz wurde nun als Koproduktion mit dem Nationaltheater Brünn als Teil des Festivals Janàcek Brno 2024 eine musikalische Bearbeitung der Erstfassung dieses Werkes aus dem Jahr 1904 vom Musikredakteur Mark Audus vorbereitet. Durch das Abtragen zahlreicher Schichten von Änderungen, die Janáček selbst und andere vorgenommen haben, ist es gelungen, eine ungemein starke Wirkung dieses Werkes zugänglich zu machen, weil Janàceks Emotionalität, Rohheit und Wahrhaftigkeit mit dieser Version am meisten zwingend umgesetzt werden.

Was die musikalische Seite betrifft, gerät diese Neuproduktion zur reinen Freude. Die Kräfte des Olmützer Theaters – der von Michael Dvoràk einstudierte Chor, vor allem aber das in allen Gruppen gut aufgestellte Orchester unter der vorwärtsdrängenden, niemals larmoyanten Leitung von Anna Novotnà Peskovà – treffen das mährische Idiom der großartigen Musik von Janàceks Urfassung, welche ideal für Produktionen in kleinen und mittleren Häusern geeignet ist, punktgenau, den schroffen, beinahe archaisch grobschlächtigen Charakter betonend und förmlich auf den Grund spürend. Zudem gibt es ein homogen kompaktes Ensemble auf der Bühne zu erleben: In den kleinen Rollen gefallen Jirì Pribyl (Stàrek), Helena Berànkovà (Karolka) und Anna Moriovà (Barena). Sylva Cmugrovà ist eine der Inszenierung entsprechende noch junge Großmutter Burya, auch mit attraktiver Stimme. Die beiden Tenöre – wie fast immer bei Janàcek – singen mit gewohnt schwächelnder Attitüde, Raman Hasymau kommt als Steva Buryja besser zur Geltung als der etwas blasse, in der Höhe angestrengte Josef Moravec als Laca Klemen. Sehr gut besetzt sind allerdings die beiden Hauptrollen: Barbora Pernà als berührende Jenufa mit herb kühlem Sopran mit leichten Höhenschärfen sowie Eliska Gattringerovà, Gastkünstlerin aus Prag, die als mächtige, imposante gleichsam bewegende Kostelnicka den Abend dominiert und der gewiss auch die beste stimmliche Leistung an diesem 20. November  2024 im Mahenova Divadlo Brno – also im alten Janacek-Theater in Brünn, wo alle Opern Janàceks, ausgenommen „Broucek“, zur Uraufführung gelangten – zu attestieren ist.

Die betont moderne Inszenierung gefällt in Bezug auf eine zwingende Personenregie wie psychologisch fundierte Personenführung und heutige Ausstattung (Irina Moscu). Ansonsten erscheint der Inszenierungsansatz von Regisseurin Veronika Kos Loulovà, Dramaturgie: Marta Ljubkovà, nicht nur problematisch, sondern bedauerlicherweise mehr als entbehrlich. Bevor die Musik einsetzt, ist die Bühne mit einem Vorhang verhangen, wo teilweise „The Great Wall of Vulva“ von Jamie McCartney zu sehen ist. Weshalb? Mit der derselben, nicht nachvollziehbaren Peinlichkeit könnten auch Fotos großdimensionierter männlicher Geschlechtsorgane à la Robert Mapplethorpe die Vorstellung einleiten. Das Regieteam hat die Produktion in Zusammenarbeit mit Kundinnen der Organisation „A Mother’s Smile“, die Frauen mit psychischen Problemen, vor allem Depressionen, nach der Geburt unterstützt. Authentische Tagebucheinträgen und Zeugnisse, während der Musik gesprochen eingeschoben (!), sollen laut Regisseurin „der Produktion eine tiefe Wahrheit und Menschlichkeit verleihen“, nach der orchestralen Schlussapotheose der Urfassung Janàceks ist noch, völlig unpassend, ein Song zum Thema in Discomanier zu hören. Jenufa hat offenbar die Katastrophe der Handlung in dieser Version nur geträumt, erscheint doch ihr Knabe orchesterbegleitet zuvor noch kerngesund auf der Bühne? Ob ein derartiges Crossover mit Müttern, die eine rein weibliche Perspektive auf das Schicksal von Jenufa werfen, dazu führen, dem Ziel des Festivals Janàcek Brno entsprechend, neue Perspektiven auf Janáčeks Opernwerk zu eröffnen, mag jede/r im Publikum selbst beurteilen, das Brünner Publikum hat die szenische Seite dieser Neuproduktion von „Jenufa“ jedenfalls überwiegend abgelehnt.

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Portait Thomas Rauchenwald
Thomas Rauchenwald
Autor des Blogs „Simply Classic“

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