Kirill Petrenko und die Berliner Philharmoniker mit zwei Jahresregenten in Salzburg

Kirill Petrenko und die Berliner Philharmoniker am 25. August 2024 bei den Salzburger Festspielen © SF/Marco Borrelli

Seit den Tagen Herbert von Karajans ist es Tradition, dass die Berliner Philharmoniker zu Beginn ihrer Saison und gegen Ende der Festspielsaison in Saison mit zwei Konzerten Station an der Salzach machen. Seit der Konzertsaison 2019/2020 heißt der Chefdirigent des deutschen Meisterorchesters Kirill Petrenko – und der setzt im Großen Festspielhaus auf herausragende Werke zweier Jahresregenten.

Im ersten Konzert am 25. August 2024 widmet sich Kirill Petrenko der V. Symphonie B-Dur WAB 105 von Anton Bruckner in der Originalfassung 1935 in der Edition Robert Haas – seine erste Bruckner-Interpretation als Chefdirigent der Berliner Philharmoniker überhaupt. Wie zu erwarten war, ist Spiritualität nicht die Sache dieses exzellenten Dirigenten, ebenso wenig langsame Tempi, obwohl er, auch wenn er mit der Luxusformation aufs Gaspedal tritt, niemals zu schnell oder verhetzt bei der Interpretation dieses komplexen, fordernden Werkes wird. Petrenko ist auf die Zerrissenheit dieses symphonischen Monolithen konzentriert, dabei Bruckners erratische Blöcke deutlich herausarbeitend und gegenüberstellend. Auch bei mitunter forscher, zügiger Gangart, die ein wenig an Nikolaus Harnoncourts Interpretation des Werkes erinnert, vermag Petrenko einen großen Spannungsbogen zu erzeugen und von Anfang bis zum Schluss über die großsymphonische Architektur zu halten. Auffallend präsentieren sich auch bisweilen extreme dynamische Unterschiede im Klang. Obwohl eine die Erdenschwere entbehrende, Transzendenz bei dieser Gangart nicht entstehen kann, erklingt ein gewaltiger erster Satz, dessen Dimensionen klar erkennbar werden und bei dem nur die Coda deutlich zu schnell gerät, hier lässt Petrenko die Zügel zu sehr los. Der zweite, langsame Satz, mit seiner Kombination aus schwer zu artikulierenden Pizzicato-Feldern, vertrackter Rhythmik und schlichter Holzbläsertechnik, überzeugt, weil zwischendurch ungemein schwelgerisch von Petrenko und dem Orchester musiziert wird. Im dritten Satz kommt einem Harnoncourts Charakterisierung von Bruckner als „Bratlgeiger“ in den Sinn, so lustvoll tänzerisch, kräftig gelingen dieses Scherzo und Trio in Petrenkos forscher Wiedergabe. Im abschließenden Finale, diesem gewaltigen Beweis von Bruckners kontrapunktischer, absoluter Meisterschaft gelingt es Petrenko – der sich für diesen Satz dann auch die nötige Zeit und Ruhe nimmt, um bei höchster Transparenz des Orchestersatzes die Strukturen offenzulegen, sodass der mächtige Choral noch kathedralenartig monumentaler als sonst zur Geltung kommen kann – die komplexe Polyphonie inklusive der krönenden Doppelfuge überdeutlich herauszuarbeiten. Die Wiedergabe gipfelt in einer Coda, die gleich einem reißenden Strom musiziert wird: Petrenko erfasst mit dem hellen, schlanken Klang des phänomenalen Orchesters Bruckners apokalyptische Visionen brillant. Wenn die „Berliner“ mit Petrenko 2026 zu den Osterfestspielen zurückkehren, darf man nach diesem exzellenten Konzert auf die weitere Entwicklung des Dirigenten im großsymphonischen Repertoire schon heute gespannt sein.

Im zweiten Konzert am 26. August 2024 setzt Petrenko auf publikumswirksames Repertoire und gestaltet mit dem auch an diesem Abend in allen Instrumentengruppen bestens aufgestellten Orchester den Zyklus von sechs symphonischen Dichtungen „Má vlast“ von Bedrich Smetana, diese großartige Hommage an Geschichte, Natur und Sagen seiner tschechischen Heimat, ein Herzensstück dieses Dirigenten. Überschäumendes, lustvolles Musizieren, mitunter richtiges „Böhmakeln“ in den Holzbläsern wie prächtig aufrauschender Harfenklang, prägt diesen Konzertabend, das Zuhören gerät ob dieser leidenschaftlich kraftvollen Wiedergabe jeden Teiles zur reinsten Freude. Der Publikumsjubel an der Salzach fällt wie schon am ersten Abend für das Orchester aus Berlin und seinem Chef überdeutlich aus.

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Portait Thomas Rauchenwald
Thomas Rauchenwald
Autor des Blogs „Simply Classic“

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