Lenzeslust im Spätsommer und Hunding als Wotan – Bayreuther Festspiele in Grafenegg

Bayreuther Festspiele in Grafenegg: Pablo Heras-Casado, Günther Groissböck, Vida Mikneviciute, Michael Spyres und das Orchester der Bayreuther Festspiele © Thomas Rauchenwald

Nach dreißig Aufführungen sind die Bayreuther Festspiele 2024 am 27. August mit einer Aufführung von „Tannhäuser“ zu Ende gegangen und geht das Orchester der Bayreuther Festspiele unmittelbar danach auf Tournee, um am 29. August 2024 unter dem Dirigenten Pablo Heras-Casado Station beim Grafenegg Festival zu machen.

An einem lauen Spätsommerabend gibt es im Wolkenturm zunächst eine konzertante Aufführung des ersten Aufzugs aus „Die Walküre“, einer der schönsten, wirkungsvollsten und beliebtesten Akte aus der Feder von Richard Wagner überhaupt und ereignet sich in knapp siebzig Minuten eine sehr gelungene, ungemein stimmungsvolle Wiedergabe der Wälsungenmusik. Das Liebeserwachen des Wälsungenpaares kommt auf der Bühne immer dann am besten zur Geltung, wenn kammerspielartig inszeniert: Vida Mikneviciute (Sieglinde), Michael Spyres (Siegmund) und Günther Groissböck (Hunding) agieren mit großer Gestik und auffällig deutlichen Blickkontakten, sodass sich das Geschehen auch ohne Szene eindrucksvoll für das Publikum ausbreitet. Dazu wird noch herrlich gesungen. Vida Mikneviciute, optisch der Inbegriff einer attraktiven Sieglinde, ist eine feine, lyrische, gefühlvolle Wälsungenschwester, ein wenig an Gundula Janowitz gemahnend, kleine Höhenschärfen inklusive. An abgründig hinterhältiger Bedrohlichkeit nicht zu übertreffen ist Günther Groissböck mit mächtig schwarzem Bass als Hunding. Einfach berauschend gerät das Rollenporträt von Michael Spyres als Siegmund mit seinem von Grund auf lyrischen, schmelzreichen, aber kernigen und bestens fokussierten Tenor. Das Lenzlied phrasiert er überwältigend und führt seine Stimme mit makelloser, phänomenaler Technik zusätzlich noch in heldentenorale Gefilde des Wälsungenbruders.

Nach der Pause gibt es noch Auszüge aus dem dritten Akt der „Walküre“ zu hören, zunächst einen breitwandig effektvollen – die Akustiker im Wolkenturm verdienen besonderes Lob – „Ritt der Walküren“, bevor Günther Groissböck zum Göttervater mutiert und Wotans Abschied  „Leb‘ wohl, du kühnes, herrliches Kind!“ zum Besten gibt. Groissböck wirft sich mit der ganzen Fülle seines reichen Bassmaterials in die Rolle, kann aber nicht verhehlen, dass ihm die Partie zu hoch liegt, was einen ungemein beeindruckenden Abschied des Vater von seiner Lieblingstochter vernehmen lässt, der zu bewegen, nicht unbedingt zu berühren, vermag.

Das Orchester, woraus die samtig gestrichenen Celli besonders hervorstechen, unter der schnörkellos, jedoch ungemein farbigen, mit gekonnten, interessanten Tempi rubati aufwartenden Leitung des ohne Baton dirigierenden Pablo Heras-Casado musiziert höchst motiviert und spielfreudig. Der interpretatorische Ansatz des Spaniers ist gewiss ein anderer als jener der Australierin Simone Young, die im heurigen Festspielsommer in Bayreuth den „Ring“ dirigiert hatte. Das Orchester beherrscht aber seinen Wagner bis in die feinsten, kleinsten Nuancen, stellt sich sofort auf den Spanier am Pult ein und folgt ihm gerne bei seiner starken Interpretation, besonders gelungen der höchst differenzierte Feuerzauber zum Schluss.

Alle Ausführenden werden vom Publikum an diesem stimmungsvollen Ort frenetisch gefeiert, Intendant Rudof Buchbinder überreicht Frau Mikneviciute sogar selbst den obligaten Blumenstrauß. Man darf sich, wenn die Gerüchte stimmen, bereits jetzt auf Pablo Heras-Casado als Dirigenten des „Rings“ 2026 in Bayreuth freuen.

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Portait Thomas Rauchenwald
Thomas Rauchenwald
Autor des Blogs „Simply Classic“

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