„Les contes d’Hoffmann“, die 1881 uraufgeführte Opéra fantastique in fünf Akten mit der Musik von Jacques Offenbach und dem Libretto von Jules Barbier nach dem gleichnamigen Drame fantastique von Jules Barbier und Michel Carré kann immer dann auf den Spielplan gebracht werden, wenn ein erstklassiger Sängerschauspieler für die komplexe Titelrolle zur Verfügung steht. Beeindruckende Interpreten des Hoffmann waren in Salzburg Neil Shicoff, vor allem aber der Ausnahmesänger Placido Domingo zu Beginn der 1980er Jahre unter dem Dirigat von James Levine und der Inszenierung von Jean-Pierre Ponnelle. Das Werk wird aktuell an der Salzach in der Fassung von Michael Kaye und Jean-Christophe Keck gegeben, mit orchestral begleitenden Rezitativen, ohne gesprochene Dialoge, was den Intentionen des Komponisten, der eine große Oper schaffen wollte, entspricht.
Der französische, lyrische Tenor mit dramatischen Fähigkeiten, Benjamin Bernheim, verfügt über die geforderte spezielle französische Stilistik der voix mixte für die Titelpartie, wunderbar gefühlvoll geführt, schmelzreich, angenehm timbriert, fein abschattiert, mit leichtem Aufschwung in die Höhen, fortwährend mit lyrischem Überschwang gestaltend, allein – für die dramatisch leidenschaftlichen, kräftigen Passagen im riesigen Großen Festspielhaus ist seine Stimme etwas zu klein geraten. Daneben singt die amerikanische Sopranistin Kathryn Lewek mit lyrischem Koloratursopran alle vier Frauenrollen – Stella, Olympia, Antonia, Giulietta – und überzeugt dabei am meisten als sanft flutende Antonia, ebenso gestaltet der amerikanische Bassbariton Christian an Horn in einem überwiegend gelungenen Versuch als Basse chantante alle vier Bösewichte – Lindorf, Coppélius, Dr. Miracle, Dapertutto – und liegt ihm dabei die Rolle des dämonisch teuflischen Dr. Miracle am besten. Die Mezzosopranistin Kate Lindsey steigert sich im Laufe des langen, vierstündigen Abends am 16. August 2024 mehr und mehr als Muse/Nicklausse, aber auch die Stimmen der drei Letztgenannten füllen nicht wirklich das Große Festspielhaus. Dennoch: Daran sowie an der von Alan Woodbridge einstudierten Konzertvereinigung Wiener Staatsopernchor, die schallend differenzierten Chorgesang beisteuert, liegt es nicht, dass die Neuproduktion dieser wunderbaren Oper bei den Salzburger Festspielen im Ergebnis zum im Grunde festspielunwürdigen Ärgernis gerät.
Problematisch stellt sich bereits die Besetzung der Nebenrollen und kleinen Rollen dar, welche allesamt stimmlich nicht annähernd über Festspielniveau verfügen und deshalb hier auch unerwähnt bleiben.
Einen „Mix aus dem vollen Sound der Wiener Philharmoniker und der Akupunktur á lá Offenbach“ zu finden, versprach der französische Dirigent Marc Minkowski im Vorfeld der Produktion. Im Ergebnis ist ein lähmend schleppendes Dirigat am Pult eines sicht- wie hörbar lustlos agierendem Orchester zu vernehmen. Eleganz, Esprit, Geschmeidigkeit, Leichtigkeit, Farbenreichtum, akzentuierte Rhythmik – Attribute, welche die geniale Partitur von Offenbach verlangen würde – bleiben zur Gänze auf der Strecke, die SängerInnen deckt Minkowski mit dem Orchester bisweilen gnadenlos zu; so behäbig, belanglos und stumpf dürfen „Hoffmanns Erzählungen“ nicht klingen.
Die Inszenierung von Mariame Clemént zeigt hektisch aufgesetztes Chaos auf einem Filmset. Wie im Vorjahr Christoph Marthaler bei seinem völlig missglückten Versuch, Verdis „Falstaff“ auf die Bühne zu bringen, versucht die Regisseurin, die Oper vom deutschen Dichter E. T. A. Hoffmann, der im Alkoholwahn über seine Frauen deliriert und am Schluss wieder mit Hilfe seiner Muse zur Dichtkunst zurückfindet, im Rahmen eines Filmsettings besser verdeutlichen zu können – angesiedelt im heute schon naturgemäß desolat heruntergekommenen Ambiente, wobei die Ausstattung von Julia Hansen an den übrig gebliebenen Ramsch, Müll und Plunder von Anna Viehbrocks vorjähriger „Falstaff“-Ausstattung erinnert. Hoffmann ist hier ein Regisseur und fokussiert den Blick durch die Kamera auf seine Frauen: Dadurch sollen offenbar Realität und Fiktion des Stückes glaubhafter vermittelt werden können, wobei aber die banale Personenregie wie die oberflächliche Personenführung im krassen Widerspruch zur Handlung stehen. Diese Regiearbeit vermag nicht einmal ansatzweise zu überzeugen; der Umstand, dass der gesungene Text wechselweise der realen wie der fiktiven Ebene zugeordnet wird, nervt, macht das Werk für diejenigen im Publikum, die nicht ganz damit vertraut sind, nur unverständlich.
Dem romantischen Charakter, der feinen Psychologie des Dichters E. T. A. Hoffmanns wie der fein differenzierten wie bisweilen überschäumenden Musik Offenbachs wird mit dieser Produktion der Salzburger Festspiele jedenfalls nicht Rechnung getragen, verfügt sie szenisch wie musikalisch über keinerlei – werkimmanente – überbordende Fantasie wie dekorative Wirkung.