Liedgestaltung aus anderen Sphären: Christian Gerhaher und Gerold Huber im Haus für Mozart mit Robert Schumann

Gerold Huber und Christian Gerhaher bei den Salzburger Festspielen © SF/Marco Borrelli

Seit Dietrich Fischer-Dieskau hat sich kein Sänger mehr in einer derartigen Ausführlichkeit wie Intensität mit dem Liedschaffen von Robert Schumann auseinandergesetzt wie Christian Gerhaher. Wie immer mit seinem kongenialen Partner am Klavier, Gerold Huber, die beiden erhielten 2022 auch gemeinsam den Ruf an die Hochschule für Musik und Theater als Professoren für Liedgestaltung, konfrontiert er in seinem Liederabend am 31. Juli 2024 bei den Salzburger Festspielen das Publikum mit weitgehend unbekannten Liedgruppen des deutschen Romantikers.

Nach den 1851/52 entstandenen „Sechs Gesänge“ op. 107, getragen von einer ständig wachsenden Verdüsterung im Ausdruck, folgen im ersten Teil des Liederabends noch die 1840 entstandenen „Zwölf Gedichte von Justinus Kerner“ op. 35., eine hochromantische Erzählung von Liebe, Abschied und Untergang, die Schumanns musikalische Fantasie insofern anregte, „weil in diesen (Gedichten) schon jedes Wort ein Sphärenton ist, der erst durch die Note bestimmt werden muß.“ (Robert Schumann). Im zweiten Teil des gleichsam beglückenden wie fordernden Liederabends sind dann noch „Drei Gedichte aus den Waldliedern“ op. 119, entstanden 181, welche die komplexe Waldsymbolik einfangen, „Drei Gedichte“ op. 30, entstanden 1840, mit ihrem jugendlichen Überschwang, „Sechs Gesänge“ op. 89, entstanden 1850, wo von Abschied und Vergänglichkeit, von Jugend und Alter gesprochen wird, sowie, gleichsam als Krönung des Abends, die höchst kontrastreichen „Lieder und Gesänge IV“ op. 96, entstanden 1850, am Programm.

Zu den Höhepunkten des beeindruckenden Abends zählen – neben den Liedgruppen op. 35 und op. 96, bei Letzterer vor allem das „Nachtlied“ und „Ihre Stimme“ – „Abendlied“ aus op. 107, “Warnung“ aus op. 119, „Der Page“ aus op. 30 sowie „Herbstlied“ aus op. 89. Bei ihrer gemeinsamen Gestaltung des Schumann’schen Kosmos tauchen Gerhaher und Huber kongenial in die Sphären des Lyrischen Ichs der ausgewählten Liedgruppen ein. Nichts bleibt auf der Strecke, den beiden geht es einfach um alles; Emotionen, Gedanken, Klänge Schumanns werden dabei mit enormer Tiefe ausgeleuchtet, sowie stimmlich als auch pianistisch, die Emanzipation des Klaviers ist ja bei Schumann vollendet, Huber spielt mit ungeheurem Feinsinn, mit spannungsgeladener Subtilität, Beiläufiges in der Begleitung gibt es da nicht.

Das Miteinander von Sänger und Pianist hat eine seltene Perfektion erreicht, was Liedgestaltung und exzellente Ausgewogenheit im Hinblick auf die Gewichtung von Musik und Text betrifft. Textverständlichkeit, Artikulation, Diktion, Intonation, Phrasierung von Gerhaher sind einfach nur vorbildlich; seine perfekt geführte wie perfekt im Fokus sitzende, sinnlich vibrierende Stimme von kommt, wie es dem Ausdruck des jeweiligen Liedes entspricht, daher – sanft und weich, phonetisch gewaltig, deklamatorisch, kernig, grell oder fein verschattet. Und Huber am Flügel verfügt über Anschlagsnuancen, die Seinesgleichen suchen.

Die beiden sind eine Symbiose: Gerhaher mit seinem klagenden Singen über Liebe, Hoffnung, Enttäuschung, Verzweiflung ohne den geringsten Anflug von Larmoyanz, und Huber mit seinem tief empfundenen, runden Klavierspiel. Heftiger Jubel im Haus für Mozart und zwei Zugaben aus dem Liedschaffen von Robert Schumann beschließen einen famosen Liederabend.

Themenschwerpunkte
Portait Thomas Rauchenwald
Thomas Rauchenwald
Autor des Blogs „Simply Classic“

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