Mit Thielemann im Strauss-Himmel: CAPRICCIO zum Auftakt der Salzburger Festspiele

Elsa Dreisig als Gräfin Madeleine in "Capriccio" in Salzburg © SF/Marco Borrelli

Im Pressetalk einen Tag vor der Premiere schwärmt Christian Thielemann, eine „Weltkompetenz in Sachen Strauss“ laut Intendant Markus Hinterhäuser, über die unglaubliche Orchestervirtuosität und den Reichtum, den gerade dieser Komponist aus dem Orchester herausholt. Und dieser besondere Coup Hinterhäusers, im Verein mit Thielemann die letzte vollendete Oper des großen bayerischen Komponisten, ein Konversationsstück für Musik in einem Aufzug op. 85, CAPRICCIO, als Eröffnungspremiere der diesjährigen Salzburger Festspiele konzertant im Großen Festspielhaus herauszubringen, gelingt über den Maßen.

 „Um die Oper wirklich zu verstehen, muss man Strauss kennen. Und man sollte das Libretto vorher gelesen haben.“, so Thielemann, stellt das Werk in seiner höchst artifiziellen Gestalt doch eine besondere Herausforderung für die Ausführenden wie das Publikum dar. Mit der heiklen Akustik im Großen Festspielhaus wissen Thielemann und die am Premierenabend des 26. Juli 2024 in allen Instrumentengruppen einfach hinreißend aufgestellten Wiener Philharmoniker bestens umzugehen: Bereits das fein ziselierte, delikate Sextett zu Beginn tönt wunderbar aus dem Orchestergraben und spannt sich ein silbern schimmernder Bogen über das ganze Stück, das schon überirdisch rund geblasene Hornsolo, eine Verbeugung Strauss‘ vor seinem Vater, der als Hornist, im Münchner Hofopernorchester tätig war,  in der „Mondscheinmusik“ vor dem Schlussmonolog der Gräfin kommt einem kleinen Wunder gleich. Der Graben übrigens ist für die konzertante Wiedergabe hochgefahren: „Eine tolle Lösung, der berüchtigte Schornsteineffekt“, sagt Thielemann, der bereits als Assistent von Herbert von Karajan erfahren hatte, je tiefer der Graben im Großen Festspielhaus, desto lauter das Orchester. Und dieses Orchester ist an diesem Abend niemals zu laut, trägt die GesangssolistInnen auf einem Klangteppich sondergleichen, sodass diese vollends in der Lage sind, das spezielle Parlando von Strauss in diesem Stück umzusetzen. Wie Thielemann die feinen Verästelungen dieser stark motivischen, verästelten Partitur zum Klingen, ja zum Leuchten bringt, erinnert an Mozart und Mendelssohn, die enorme Flüssigkeit der Streicher, angeführt von Konzertmeister Rainer Honeck, an deutsche Spieloper á la Lortzing. Derart wähnt man sich mit Thielemann und dem Wiener Meisterorchester im Strauss Paradies.

Laut Thielemann sei die konzertante Situation im Wesentlichen bei diesem Stück praktisch, weil der Text wesentlich sei und eine szenische Aufführung das Publikum überfordern könne. Und auch die GesangssolistInnen können sich ganz auf ihre komplexen Aufgaben konzentrieren und sind die Salzburger Festspiele in der Lage, ein beeindruckend homogenes Ensemble aufzubieten. Köstlich agieren die acht Diener und Torben Jürgens als Haushofmeister, berührend Jörg Schneider als vergessener Souffleur Monsieur Taupe, eine herrliche Karikatur der italienischen Sängerin gibt die stimmstarke Tuuli Takala, ebenso wie der schmelzreiche Josh Lovell als italienischer Tenor. Ève-Maud Hubeaux gefällt stimmlich mit flexiblem Mezzo als Clairon, der Bo Skovhus mit prägnanter, gestalterischer Deklamation den Hof macht. Mika Kares ist mit sattem Bass ein herrlicher, saftig polternder Theaterdirektor La Roche. Die beiden Rivalen um die Gunst der Gräfin Madeleine, den Musiker Flamand und den Dichter Olivier, geben Tenor Sebastian Kohlhepp und Bariton Konstantin Krimmel, beide mit feiner Stimmführung und hervorragender Artikulation wie Diktion. Und in Strauss‘ feiner, leiser, allerraffiniertester Partiur vermag auch die französisch-dänische Sopransitin Elsa Dreisig als Madeleine letztendlich vollends zu überzeugen. Hätte man sich zu Beginn noch vielleicht ein wenig mehr an Fülle dieser zart silbrigen, ausgezeichnet geführten Sopranstimme gewünscht, singt sie dann im überirdisch vorgetragenen Schlussmonolog genau mit der von Strauss geforderten „Mozart-Stimme plus“ (Thielemann) und der notwendigen Wortnoblesse, gepaart mit cremig aufblühenden Höhen, sodass Dreisigs Stimme nur so über dem Orchester ins Große Festspielhaus schwebt. Dazu fahren Thielemann, der bei diesem Werk auf betont leises Orchesterspiel setzt, den Lautstärkepegel noch um geringe Nuancen zurück.  Chapeau! Heftiger, starker Applaus für das Ensemble, donnernde Akklamationen für Thielemann und das Orchester nach zweieinhalb pausenlosen Stunden reinstem Strauss-Glück.

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Portait Thomas Rauchenwald
Thomas Rauchenwald
Autor des Blogs „Simply Classic“

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