Nono und Dallapiccola beklemmend in der Felsenreitschule

Georg Nigl in "Il Prigoniero" bei den Salzburger Festspielen © SF/Marco Borrelli

Die Werke des italienischen Antifaschisten Luigi Nono gehören seit jeher zu den Programmeckpfeilern von Intendant Markus Hinterhäuser in Salzburg. Im Rahmen der diesjährigen OUVERTURE SPIRITUELLE kombiniert er am 25. Juli 2024 in der Felsenreitschule dessen IL CANTO SOSPESO mit einer konzertanten Aufführung der Kurzoper IL PRIGONIERO von Luigi Dallapiccola, ein aus ästhetischen wie politischen Gesichtspunkten ebensolches Schlüsselwerk des Widerstandes gegen brutalen Faschismus, sodass an einem Abend zwei der bedeutendsten Werke der Musik des 20. Jahrhunderts zu erleben sind und Dallapiccolas Werk programmdramaturgisch wohl als Vorbote des Schönberg-Schwerpunktes bei den diesjährigen Salzburger Festspielen gedacht ist.

Selten erlebt man nach einem Werk derart lange Stille, wobei man unwillkürlich an Claudio Abbado erinnert wird, der nach der gelungenen Wiedergabe eines Stückes die Stille hören konnte, ausgelöst durch tiefe Beklemmung. Plastisch, bewegend, eindrücklich hat Luigi Nono in seinem 1955/56 entstandenen IL CANTO SOSPESO für Sopran-, Alt- und Tenorstimme, gemischten Chor und Orchester, die Stimmen von deutschen Nationalsozialisten und von italienischen Faschisten ermordeter Widerstandskämpfer, basierend auf Passagen aus letzten Briefen, welche diese noch an ihre Angehörigen verfasst hatten, in Töne gesetzt. Bedrohliche Spannung erzeugt diese flächige, bisweilen kontemplative Musik, verstärkt noch durch die eindringliche Rezitation der originalen Briefstellen von Schauspieler Tobias Moretti, in einer exemplarischen Umsetzung durch den phänomenalen Chor des Bayerischen Rundfunks, einstudiert von Peter Dijkstra, das auf moderne Musik spezialisierte ORF Radio-Symphonieorchester unter der Leitung von Maxime Pascal und den SolistInnen Caroline Wettergreen (Sopran), Freya Apffelstaedt (Alt) und Robin Tritschler (Tenor).

Auf körperliche Folter folgen grausame psychische Qualen, indem ein fiktiver Gefangener während der spanischen Inquisition im 16. Jahrhundert von seinem Kerkermeister auf eine vermeintliche Fährte der Freiheit geführt wird. Nachdem sich der Kerkermeister als zynischer Großinquisitor zu erkennen gibt, wird der Gefangene widerstandslos zur Hinrichtung geführt. Musikalisch packend ist das 1943 bis 1948 entstandene Zwölftonwerk IL PRIGONIERO, Oper in einem Prolog und einem Akt von Luigi Dallapiccola, mit dem Libretto vom Komponisten nach Auguste Villiers de I’Isle-Adams „La Torture par l’esperance“ und Charles De Costers „La Lègende d’ulenspiegel et de Lamme Goedzak“. Die höchst expressive, ungemein dramatische Musik ist italienische Oper pur, in der Orchestrierung vermeint man Puccini, sogar Ravel herauszuhören, herbe, schroffe Töne stehen da neben fließender Klangschönheit. Maxime Pascal, 2014 Gewinner des Young Conductors Award bei den Salzburger Festspielen, und hier bereits 2022 mit Honeggers „Jeanne d’Arc au bucher“ sowie 2024 mit Martinus „Greek Passion“ höchst erfolgreich, ein ausgewiesener Verfechter moderner Musik, setzt auch diese Partitur eines der bedeutendsten, nicht zur Zweiten Wiener Schule gehörenden, Vertreters der Dodekaphonie mit dem Orchester ungemein zwingend um. Tanja Ariane Baumgartner gibt mit vollem, dramatischem Mezzosopran die Mutter, John Daszak gestaltet mit eisigem, hinterhältigem Tenorschmelz den Kerkermeister/Großinquisitor. Die beste gesangliche Leistung des Abends lässt aber Georg Nigl vernehmen, gegenwärtig bestimmt einer der besten Interpreten, was neue, moderne Musik betrifft. Höchst eindringlich deklamiert, singt, gestaltet er die Hauptrolle, neben kantablem Legato wechselt er gekonnt ins Falsett, schreckt auch vor Schreien als bewusst eingesetztes Mittel seiner Interpretation nicht zurück – eine Studie, die unter die Haut geht.

Nach spürbarer Erschütterung im Auditorium spendet das Publikum zu Recht tosenden Applaus.

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Portait Thomas Rauchenwald
Thomas Rauchenwald
Autor des Blogs „Simply Classic“

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