Riccardo Muti mit einem Bruckner-Hochamt in Salzburg

Riccardo Muti dirigiert Antons Bruckners VIII. Symphonie in Salzburg © SF/Marco Borrelli

Bei langsamem Tempo entfaltet die Musik ungemein mehr Reichtum und Dichte, größerer Reichtum verlangt also eine langsamere Darbietung – dieses Credo eines der größten Bruckner-Interpreten, Sergiu Celibidache, im Hinblick auf die musikalische Phänomenologie hat dieser Dirigent vor allem bei der Musik des oberösterreichischen Symphonikers Anton Bruckner angewendet, dessen VIII. Symphonie in c-moll, WAB 108, für ihn den Gipfelpunkt der Symphonik überhaupt darstellte.

Dieses Werk, in der Edition von Robert Haas, steht bei den Salzburger Festspielen auf dem dritten Konzertprogramm der Wiener Philharmoniker – unter der Leitung von Riccardo Muti, der mit dem Orchester seit mehr als fünfzig Jahren verbunden ist. Und Riccardo Muti, der dieses Gipfelwerk aus Ehrfurcht in den drei Konzerten in Salzburg um Ferragosto zum ersten Mal in seinem Dirigentenleben überhaupt dirigiert, nimmt sich bei der Wiedergabe dieses symphonischen Giganten ebenso Zeit, viel Zeit für die langgezogenen Phrasen, für die erratischen Blöcke, erreicht bei konsequenten Tempokorrelationen aber eine nahezu perfekte Balance, was sich in der Spieldauer der einzelnen Sätze niederschlägt: Bei konsequent langsam durchgehaltenen Tempi dauern die ersten beiden Sätze in der Matinée am 18. August 2024 jeweils 17 Minuten, die letzten beiden jeweils 30 Minuten, womit er an einen anderen großen Italiener erinnert, der ebenso herrliche Bruckner-Dirigate mit den Wiener Philharmonikern zu verzeichnen hatte – Carlo Maria Giulini. Urwüchsiger Volksmusik in dieser Symphonik nachzuspüren ist Mutis Sache nicht, vielmehr ist diese denkwürdige Interpretation von tiefem Ernst geprägt, der Größe und Erhabenheit dieser Musik immanent.

Als „Schöpfung eines Giganten“ bezeichnete Hugo Wolf diese Symphonie und machen Muti und das an diesem Vormittag prächtig einstudierte und aufgestellte Orchester, am ersten Pult hat der neue Konzertmeister Yamen Saadi Platz genommen, diesem Attribut alle Ehre, indem sie das Werk in vollendeter Klangschönheit schimmern, leuchten, strahlen lassen. Der 83jährige, ungemein vitale Dirigent scheint jedes Detail des Riesenwerkes herauszuarbeiten, auszukosten und das Orchester folgt ihm mit einer Hingabe, wie man sie nur in seltenen philharmonischen Feierstunden erleben darf. Diesen schimmernden Streichersatz, dieses runde Blech wird, wer es erlebt hat, nicht so schnell vergessen. Natürlich begeistern die dramatischen, ausladenden Höhepunkte, noch mehr setzt Muti aber auf die verhaltenen, leisen Stellen. Die riesigen Bögen, die er aufbaut, zerbersten fast, verlieren aber nie an Spannung, nur ein so unglaublicher Dirigent wie Muti kann Derartiges bewerkstelligen, wobei er auch von Beginn an auf höchste Transparenz setzt und diese bis zum Ende durchzieht. Dem Mysterium der Symphonie geht er im Spätherbst seines Dirigentenlebens auf den Grund, die klagende Tragik des ersten Satzes voll erfassend, selten hört man die „Totenuhr“ (Bruckner) so unheimlich klopfen; auch das Scherzo klingt nicht vordergründig fröhlich, sondern gespenstisch, überschattet von der tragischen Stimmung des ersten Satzes. Das Adagio, einer der innerlichsten langsamen Sätze Bruckners, gestaltet Muti als weite Seelenlandschaft, am Ende stellt sich tief erfüllende Entrückung ein. Das krönende Finale schließlich kommt kompakt, wie aus einem Guss: Behutsam, mit ungeheurer Spannung baut Muti dann die Coda auf, wo Bruckner die Themen aller vier Sätze übereinander türmt – das Scherzo-Thema, das alle anderen an Leuchtkraft übertrifft, hört man an diesem Vormittag noch deutlicher heraus als sonst: „Es war ein vollständiger Sieg des Lichts über die Finsternis, …“, um noch einmal Hugo Wolf zu zitieren.

Stehende Ovationen des Publikums nach einem veritablen Bruckner-Hochamt, die Muti dankbar, aber nur kurz entgegennimmt.

Themenschwerpunkte
Portait Thomas Rauchenwald
Thomas Rauchenwald
Autor des Blogs „Simply Classic“

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