Auf dem Programm der Matinèe der Wiener Philharmoniker am 11. August 2024 im Großen Festspielhaus bei den Salzburger Festspielen steht ein einziges Werk, die Symphonie Nr. 9 von Gustav Mahler, entstanden während der Sommerferien in Toblach in Südtirol, eines der großen Abschiedswerke der Konzertliteratur, voller Trauer, Resignation wie Todesahnung. In Mahlers Spätstil gibt es keine Melodie im herkömmlichen Sinne mehr; alles ordnet sich der Entstofflichung und Entmythologisierung des Klanges unter (Andreas Maul) – Andris Nelsons und das in allen Instrumentengruppen bestens aufgestellte Orchester versuchen in 85 tief erfüllten Minuten diese Charaktermerkmale dieses großartigen Werkes eindringlich zu gestalten wie herauszuarbeiten. Weitgespannte Orchesterbögen höchster Expressivität dominieren diesen Vormittag, das Orchester schwelgt im spätherbstlichen Schönklang, der seinesgleichen sucht; dass Mahler mit diesem Werk tonal das Tor zur Moderne aufstößt, scheint für Nelsons nicht wirklich wesentlich zu sein.
Der erste Satz ist das Allerherrlichste, was Mahler geschrieben hat. Es ist der Ausdruck einer unerhörten Liebe zu dieser Erde, die Sehnsucht, in Frieden auf ihr zu leben, sie, die Natur, noch auszugenießen bis in ihre Tiefen – bevor der Tod kommt (Alban Berg in einem Brief an seine Frau Helene). Von Anfang an fasziniert Nelsons mit einer Spannung, die zu fesseln vermag; transparent, in ruhigem Zeitmaß, werden die zerklüfteten Abgründe dieses Andante comodo ausgebreitet, bei ungemein sinnlichem Orchesterspiel. Der zweite Satz, mit seinen beiden Ländlern und dem Walzer kommt zwar akkurat betont, jedoch nicht als Klezmer-Musik akzentuiert, daher. Die Rondo-Burleske des dritten Satzes pfeffert Nelsons mit dem hervorragend aufgelegten Orchester in den Saal, virtuos dirigiert, den Schönklang auch hier nie aus den Augen verlierend, inklusive wunderbar rundem Trompetensolo. Für die tiefe Seelenmusik des abschließenden Adagios nimmt sich Nelsons viel Zeit, was Klangreichtum wie Ausdruck dieser Musik eine zusätzliche Dimension erteilt. Ein besonders seelenvolles Dirigat ist hier zu erleben, die Wiener Philharmoniker schenken Andris Nelsons all‘ ihren leuchtenden Orchesterglanz. Das Finale der Neunten, die Coda, das hat eigentlich mit nichts Irdischen mehr zu tun, das ist ein Gespräch mit Gott (Mariss Jansons) – die Musik löst sich auf in der Zeit, verlischt in der Stille. Und Andris Nelsons macht mit diesen letzten Dingen, mit diesem Absterben im Pianissimo, klar und deutlich, dass mit diesen Weltabschiedstakten auch das (19.) Jahrhundert endgültig, unwiederbringlich verloschen ist. Einzig der permanente Trauerflor, der dieses Werk umwebt, ist – noch – nicht die Sache des 45jährigen, lettischen Dirigenten …
Ergriffene Stille beim Publikum, das sich während dieses Konzertes im Gegensatz zu anderen ungewohnt ruhig verhalten hat, bevor der gerechtfertigte, lautstarke Applaus die Ausführenden feiert.