„Tannhäuser“ in einer starken Besetzung bei den Münchner Opernfestspielen

Andrè Schuen und Klaus Florian Vogt (Tannhäuser) in "Tannhäuser" bei den Münchner Opernfestspielen © Wilfried Hösl

Romeo Castellucci, der, auch für Bühne, Kostüme und Licht verantwortlich zeichnet, hat seine bereits für die Bayerische Staatsoper München 2017 kreierte Regiearbeit im Mai 2024 revidiert, das heißt adaptiert und weiterentwickelt. Unterstützt von Cindy van Acker, deren akustisch nicht wahrnehmbare, überflüssige Choreografie den musikalischen Ablauf glücklicherweise nicht beeinträchtigt, Marco Giusti (Videodesign und Lichtassistenz) sowie Piersandra die Matteo und Malte Krasting (Dramaturgie), wird seine nunmehrige Version den Intentionen von Wagners Künstlerdrama in weit höherem Ausmaß gerecht, weil ästhetisch wesentlich ausgefeilter, verfeinernder und daher überzeugender, deutlich näher am Stück. Zu Beginn, während Ouvertüre und Bacchanal, wieder attraktive, barbusige Bogenschützinnen, die mit ihren Pfeilen ein Auge in einem Kreis treffen – die Jagd auf den Outlaw Tannhäuser ist eröffnet. Die Szene in Venus‘ Grotte bekommt nun trotz des offensichtlich unvermeidbaren Fettkloßes einen gewissen Schuss an Erotik verpasst, Venus posiert auch im dunkelroten Kleid. Im zweiten Akt erzeugen geschickt drapierte Gazévorhänge eine Hallenatmosphäre. Zu Beginn des Sängerwettstreits ist alles ruhig, ostasiatisch meditativ liegen die Sänger und der Landgraf um einen durchsichtigen Kubus, in dem sich das Unheil anbahnt. Aus der Konstruktion entsteigt nach Tannhäusers Hymne auf die Venus schließlich eine pechschwarze Figur, die sich an den Frevler heftet – Tannhäuser wird derart auch optisch mit Sünde beladen und stellt diese Sequenz die gewiss stärksten Bilder der Regiearbeit dar. Castelluccis Inszenierung ist eine weitgehend statische Kunstinstallation, was sie auch in der Adaption bleibt; man kann das mögen, man muss das nicht mögen, man kann sich aber ganz auf die Musik konzentrieren, die durch die Szene nicht wesentlich gestört wird. Im dritten, szenisch am wenigsten überarbeiteten Akt, was Castelluccis ursprüngliches Konzept betrifft, verwesen – wohl als Sinnbild dafür, dass alles und jedes vergänglich immer vergänglich war, ist und sein wird – die Leichen von Tannhäuser und Elisabeth, sprich Klaus und Elisabeth, noch immer in einem Abermilliarden von Jahren andauernden Verwesungsprozess. Der Venusberg und die aus dem Bühnenoff singende Liebesgöttin erscheinen nur in seiner Fantasie, im Traum Tannhäusers? Diese und noch viele andere Fragen – die Aschenreste von Tannhäuser und Elisabeth werden zu einem Häuflein aufgeschüttet, vereinigen sie sich so nicht nur im Geist, sondern auch mit ihren Körpern? – wirft Castelluccis Arbeit auf, die man zu deuten versuchen kann, zu beantworten versuchen kann, hinterfragen kann, auch gemeinsam und parallel zur Musik, wenn man möchte.

Die Aufführung am 21. Juli 2024 bei den Münchner Opernfestspielen gerät dann auch zu einem Sängerfest, was die Besetzung betrifft. Ain Anger orgelt mit imposanter Größe, feine Zwischentöne fehlen diesem bassgewaltigen Landgrafen. Aus dem Ensemble der Bayerischen Staatsoper gewohnt gut besetzt ist die Gilde der Minnesänger – Jonas Hacker (Walther von der Vogelweide), Martin Snell (Biterolf), Andrés Agudelo (Heinrich der Schreiber) und Alexander Köpeczi (Reinmar von Zweter). Venus ist Yulia Matochkina mit großer, leidenschaftlich lodernder Mezzosopranstimme, die nur noch an der Artikulation arbeiten muss, um eine Top-Venus gestalten zu können. Elisabeth Teige begeistert als Elisabeth mit fast schon hochdramatischem, perfekt fokussiertem, auch zu leisen, feinen Tönen fähigen Sopran. Wächst und reift bei behutsamer Weiterentwicklung dieser Stimme, die mich ein wenig an die große Birgit Nilsson erinnert, da bald eine ausgezeichnete Interpretin von Isolde und Brünnhilde heran? André Schuen singt Wolfram von Eschenbach nun auch in München – mit balsamisch weichem Bariton, ohne jegliche Kraftanstrengung, ganz aus der Artikulation und Diktion eines großen Liedsängers heraus im Stile eines Dietrich Fischer-Dieskaus – ganz hervorragend, ungemein ergreifend. Tannhäuser ist wiederum Klaus Florian Vogt, unverwüstlich mit seinem betont hellem Timbre, seinem immer kräftiger werdenden Tenor. Nach kleinen Unsicherheiten zu Beginn hat er im Laufe des Abends dann alles, was ein exzellenter Tannhäuser braucht, um zu begeistern, sprich Leidenschaft, Reue, Zerknirschung; seine gelungene Interpretation krönt er mit einer ungemein hintergründigen Romerzählung, auch was den Tonfall betrifft.

Konnte man sich am Abend zuvor bei „Parsifal“ auch für Chor und Orchester der Bayerischen Staatsoper begeistern, weicht diese bei „Tannhäuser“ einer gewissen Ernüchterung. Der von Christoph Heil einstudierte Chor agiert erst im dritten Akt auf gewohnter Höhe, zuvor schleichen sich doch unüberhörbare Irritationen im Zusammenwirken mit dem Orchester ein. Dieses nimmt unter der musikalischen Leitung von Sebastian Weigle auch im Schlussakt erst wirklich an Fahrt auf, zuvor beeinträchtigen Unsicherheiten in der Artikulation der Streicher sowie in den ersten beiden Akten mitunter allzu sämige Tempi doch einen wirklich gelungenen Gesamteindruck. Dem Publikumsjubel tut dies jedoch keinen Abbruch.

Themenschwerpunkte
Portait Thomas Rauchenwald
Thomas Rauchenwald
Autor des Blogs „Simply Classic“

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert