Vernichtendes Roulette – DER SPIELER in Salzburg

Sean Panikkar (Alexej) und Asmik Grigorian (Polina) in DER SPIELER von Sergej Prokofieff in Salzburg © SF/Ruth Walz

Die erste große Oper von Sergej Prokofieff, „Der Spieler“, op. 24, entstanden 1915 bis 1917, überarbeitet 1927 bis 1928, uraufgeführt 1929 in Brüssel, ist das erste Werk, das einen Roman von Fjodor Michailowitsch Dostojewski für das Musiktheater adaptiert, wobei der Komponist das Libretto selbst verfasst hat. Zugleich ist das Werk ein musikalisch radikales: Die zweistündige Partitur hat keine Nummern, ist gekennzeichnet von einer musikalischen Prosa, wo eindringlich fließende Rezitative dominieren, der malmende Orchestersatz ist von unerbittlicher Motorik und einem passionierten Ostinato geprägt. Die Programmierung dieses durch und durch eigenen Werkes stellt im Zuge von „Katja Kabanova“ 2022 und „The Greek Passion“ 2023 ein weiteres Bekenntnis von Intendant Markus Hinterhäuser zur Oper des frühen 20. Jahrhunderts sowie zur russischen Kultur überhaupt bei den Salzburger Festspielen dar – und wurde zusätzlich noch der Mut aufgebracht, den eigenwillig charismatischen, amerikanischen Regisseur Peter Sellars mit der Inszenierung dieses selten gespielten Meisterwerkes zu betrauen.

Die riesige Bühne der Felsenreitschule ist teilweise von Moos überwuchert – typisch für Sellars, dass er die Problematik des Klimawandels in seiner Inszenierung nicht ausspart. Weshalb erschließt sich nicht, einen Mehrwert zum Verständnis des Stückes bzw. mahnende Aktualisierung stellt dieser Regiekniff nicht dar, wirkt im Grunde nur aufgesetzt. Ansonsten gibt es aber von dieser Produktion nur Positives zu berichten. Auf der Bühne (George Tsypin), die ein Spielcasino suggerieren soll, sind ufoartige, riesige, immer wieder grell aufleuchtende Spielkreisel verstreut; die Arkaden der Felsenreitschule sind effektvoll mit Spiegeln ausgefüllt, dazwischen, zwischen derart entstehenden Räumen, entfaltet sich eine überzeugende, zwingende, psychologisch fundierte Personenregie, die, werkimmanent, im Einklang mit der starken Musik steht. Das im Grunde intime Kammerspiel um den Hauslehrer Alexey bei seiner Gier nach Geld und Liebe verliert sich nie auf der überbreiten Bühne der Felsenreitschule, deren Tücken Sellars beherrscht; optisch hervorragend gerät auch die zum Stück passende, grellbunte Lichtregie (James F. Ingalls), bedauerlicherweise dominieren hässliche Kostüme (Camille Assaf).

Am Pult der höchst motivierten, groß aufspielenden Wiener Philharmoniker überrascht der erst dreißigjährige russische Dirigent Timur Zangiev: Mit sparsamer, kleiner, aber souveräner Zeichengebung führt er das Orchester durch die harschen Klippen von Prokofieffs stampfender Partitur, deren gestaffelte Dynamik bis in feinste Nuancen wie extreme Sphären auslotend, ein einzigartiges Crescendo in einem großen Bogen von Beginn bis zum Schluss gestaltend, die Sogwirkung von Prokofieffs spannungsgeladener, wild sprunghafter Musik ausreizend.

Bei dieser hämmernden, bisweilen brutalen Motorik, die ständig vehement aus dem Orchestergraben flutet, klingt die melodiöse russische Sprache oft gepresst, gesungen wird dennoch hervorragend. Sean Panikkar als von der Spielsucht getriebener, an ihr zugrunde gehender Alexey begeistert in den lyrischen wie kraftvollen Passagen mit angenehmem Timbre seines strapazierfähigen Tenors, daneben der Salzburger Publikumsliebling Asmik Grigorian als sopranstarke Polina und ausgewiesene Luxusbesetzung für eine nicht allzu große Rolle, Peixin Chen als imposanter General mit kräftig sattem Bass, Violeta Urmana als ungemein dramatische Babulenka, Nicole Chirka als Blanche ragt aus den kleinen Rollen heraus.

Die Oper des 20. Jahrhunderts wird konsequent im Spielplan der Salzburger Festspiele gehalten und, wenn sich derart gewichtiges Musiktheater ereignet, vom Publikum, das nach der Aufführung am 17. Juni 2024 mit Beifall nicht geizt, auch angenommen.

Themenschwerpunkte
Portait Thomas Rauchenwald
Thomas Rauchenwald
Autor des Blogs „Simply Classic“

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