Wagner ohne Fett: Àdàm Fischer mit „Parsifal“ bei den Münchner Opernfestspielen

Gerald Finley als Amfortas, dahinter Tareq Nazmi als Gurnemanz in "Parsifal" bei den Münchner Opernfestspielen © Wilfried Hösl

Àdàm Fischer, mit der Bayerischen Staatsoper seit seinem Debüt 1999 eng verbunden, kehrt zu den Münchner Opernfestspielen zurück, um zweimal Richard Wagners Bühnenweihfestspiel „Parsifal“ zu dirigieren. Bereits im Vorspiel findet der bescheidene wie kompromisslose Mann zu seinem eigenen, famosen Wagner-Klang. Da hört man nichts von Schwere, falschem Pathos oder zelebrierter Pseudo-Weihe, alles klingt mächtig, stark, und klar, nie zu laut, mit vorbildlicher Durchsichtigkeit und Transparenz. Vor allem „schmerzt“ Fischers Dirigat unangenehm angenehm, den Kern des Werkes schonungslos freilegend. Selten beispielsweise hört man während Gurnemanz‘ großer Erzählung im ersten Akt das Klingsor-Motiv derart grell aufflackern. Dieser gereinigte, zwischendurch sanfte, milde Klang lässt nicht los, ja zieht in einen Sog, aus dem es kein Entrinnen gibt. Irisierend, mit kontrolliertem, starkem, aber nicht ausufernd waberndem Vibrato lässt Fischer das an diesem Abend hervorragend aufgestellte Bayerische Staatsorchester, spielen, sodass Wagners Musik leuchtet, an manchen Stellen förmlich glüht. Die Tempi sind ausgewogen, flüssig, nie zu schnell, nie zu langsam, was von der Spieldauer unterstrichen wird: 105 Minuten für den ersten, 65 für den zweiten und 70 Minuten für den dritten Akt, wo Fischer ein wunderbares Ausfließen gelingt. Wagner ohne Fett am 20. Juli 2024 im Münchner Nationaltheater.

Und dass dieses wunden- wundervolle Werk nicht nur im Orchestergraben, sondern auch auf der Bühne überzeugt, dafür sorgt eine homogene, sehr gute Besetzung, die von Fischer auf Händen getragen wird. Hervorragend, prächtig klingen die von Christoph Heil bestens präparierten Chöre. Stimmlich gut disponiert sind die Ritter, Knappen und Blumenmädchen. Warum Balint Szabo seinen imposanten Titurel allzu sehr aus dem Bühnenoff orgeln muss, kann wohl nur die Regie beantworten. Jochen Schmeckenbecher gibt einen präsenten, gequält zynischen Klingsor. Kundry ist eine Hochdramatische: Nina Stemme hat immer noch alle Töne für diese extrovertiert komplexe Partie, mit breiter Mittellage ausstaffiert, machen ihr auch die tiefen Töne keine Probleme; die Verführerin durch und durch ist sie nicht, vermag eher mit mütterlicher Erotik zu punkten. Clay Hilley singt die Titelpartie und wirkt stark bereits im ersten Akt. Mit hellem, sehr gut fokussiertem Tenor singt er einen enorm heftigen zweiten Akt und hat auch noch die Reserven für die Ausbrüche im dritten Akt sowie für seinen letzten Auftritt, den er mit dem von Wagner gefordertem dimininuendo auf „Öffnet den Schrein!“ krönt. Hervorragend gerät auch die Textgestaltung des US-Amerikaners. Gespannt erwartet wurde der Auftritt von Gerald Finley als Amfortas, der nach der Aufführung auf offener Bühne vom Staatsintendanten Serge Dorny zum Bayerischen Kammersänger ernannt wurde. Mit der ihm eigenen Diktion des großartigen Liedsängers gestaltet er diese Partie, wobei er jedes Wort bei unterschiedlichsten Schattierungen hochzentriert artikuliert, und wird dieser ausgewiesen stimmschöne Schmerzensmann dabei von Fischers Klangteppich getragen. Eine ausgezeichnete Gesangsleistung vollbringt auch uneingeschränkt Tareq Nazmi als Gurnemanz, der die lange Partie weder balsamisch weich abschattiert noch altväterlich behutsam anlegt, sondern mit jungem, kräftigem Bass ohne jegliche Anstrengung souverän, gehaltvoll und ausdrucksstark interpretiert und diese Interpretation so in ihren Bann zieht.

Für die Kreation des Bühnenbildes konnte noch in der Ära von Nikoluas Bachler der bildnerische Künstler Gerd Baselitz an das Münchner Nationaltheater geholt werden, welches beinahe zur Gänze in schwarz-weißen Farben gehalten ist. Im ersten Akt sehen wir einen dunklen Wald, dessen Tannen an verkohlte Stämme nach einer Natur- oder Atomkatastrohe erinnern. Das Innere einer Gralsburg fehlt. Klingsors Burg im zweiten Akt ist auf ein riesiges Tuch gemalt, in dem sich ein vaginaähnlicher Spalt beim Auftritt der Blumenmädchen öffnet. Im dritten Akt bleibt Baselitz naturgemäß sich selbst treu: Die Dekoration des ersten Aktes ist einfach auf den Kopf gestellt, durch famos leuchtendes, rötlich violettes Licht schafft Urs Schönebaum die Vision einer am Karfreitag blühenden Blumenwiese. In einer Reduktion auf das Wesentliche hat sich Regisseur Pierre Audi mit seiner Inszenierung ganz dem großen Künstler Baselitz untergeordnet. Mitunter würde man sich ein wenig mehr an Personenregie und Personenführung wünschen, doch wird das Stück ohne (Video)Mätzchen klar und deutlich erzählt. Unfreiwillig komisch wirken auch hin und wieder die Kostüme (Florence von Gerken), wenn sich die Gralsritter beispielsweise in der ersten Gralsszene ihrer Kleider entledigen und als korpulente alte Männer im Stoff-Adamskostüm auf der Bühne stehen. Auch die Blumenmädchen entblößen sich im zweiten Akt als beleibte alte Frauen, was der Szene jegliche Erotik nimmt. Die an abgelegenes Fleisch erinnernden Kostüme mit hängenden Körperteilen wirken peinlich und skurril: Hier hätte ein Regisseur doch korrigierend eingreifen müssen. Der Gral selbst ist im ersten Akt nur ein blutendes Herz in Händen Amfortas‘, im dritten Akt versammeln sich Parsifal und die Gralsritter bei der Gralsenthüllung zum Gebet, Amfortas und Kundry können erlöst sterben. Im Zentrum der Regie steht der Erlösungsgedanke: selten wird so klar, dass auch der Erlöser der Erlösung bedarf. Und bei den Einwänden, die man gegen diese statische, oft auf Rampensingen heruntergebrochene Regiearbeit erheben muss, ist es doch eine Wohltat, Wagner einmal ohne unterstützende Choreografie mit auf der Bühne herumhopsenden bzw. –trampelnden Personen erleben zu dürfen.

Wagner pur und ohne Mätzchen mit klarem, großen Orchesterklang: Diesen Gral von Àdàm Fischer möchte man öfters hören, er und alle Ausführenden werden am Schluss zu Recht lautstark bejubelt. Genauso sollen Opernfestspiele sein.

Themenschwerpunkte
Portait Thomas Rauchenwald
Thomas Rauchenwald
Autor des Blogs „Simply Classic“

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