Wien Modern 2024 – Bewährtes und Neues bei der 37. Auflage

Wien Modern 2024 - die 37. Auflage des Festivals für neue Musik © Chris Lukhaup

Am Beginn meines Berichtes über die 37. Ausgabe von Wien Modern sollte eigentlich ein Beitrag über das geplante Projekt des Arditti Quartets, in vier Konzerten jeweils ein Streichquartett des Jahresregenten Arnold Schönberg mit vier neuen Auftragskompositionen von Stefan Prins, Sarah Nemtsov, Chaya Czernowin und Hilda Paredes, kombiniert mit herausragenden Kompositionen von Iannis Xenaxis, Salvatore Sciarrino, Luigi Nono und Clara Iannotta zu interpretieren. Wenige Tage vor Beginn dieses großen Jubiläumsprojektes zum 50jährigen Bestehen der Formation hat der Cellist leider eine Armfraktur erlitten, weshalb alle vier Konzerte unverändert auf 2025 verschoben werden müssen. Ein weiterer, geplanter Beitrag über das Konzert Peter Eötvös in memoriam konnte wegen kurzfristiger Erkrankung meinerseits leider ebenfalls nicht veröffentlicht werden.

Dafür konnte ich dann endlich am 19. November 2024 mein erstes Konzert der 37. Auflage von Wien Modern besuchen – Beat Furrer 70 Begehren. Anlässlich des bevorstehenden 70. Geburtstages am 6. Dezember 2024 des österreichischen Komponisten und Dirigenten schweizerischer Herkunft, 2003 mit dem Musikpreis der Stadt Wien, 2012 mit dem Erste Bank Kompositionspreis, 2014 mit dem Großen Österreichischen Staatspreis und 2018 mit dem Ernst von Siemens Musikpreis ausgezeichneten Mitgliedes der Akademie der Künste Berlin, Beat Furrer, wird dessen Werk „Begehren“ – Musiktheater in zehn Szenen, nach Texten von Ovid, Vergil, Hermann Broch, Cesare Pavese und Günter Eich, mit dem Libretto vom Komponisten, unter der Mitarbeit von Christine Huber und Wolfgang Hofer – im Wiener Konzerthaus konzertant erstaufgeführt. Bei diesem Werk sind vor allem Klänge zu vernehmen, die gleichsam aus dem Schatten treten. Auch das erste Wort in diesem Werk lautet „Schatten“. Diese Schatten stehen auch für die gescheiterte Kommunikation zwischen den beiden Protagonisten, in diesen Schatten liegen auch die Gründe für das Scheitern ihrer Beziehung im Verborgenen. Dieses Beziehungsdrama, eine Neudeutung des Mythos von Orpheus und Eurydike als eine Tragödie des Sehens, ist eines der eindringlichsten Musiktheaterwerke Furrers. Obsessionen, zu Klang geworden, Begehren ohne Hoffnung sowie Unerreichbarkeit und Einsamkeit, kreisend um Erinnern und Suchen von „Sie“ und „Er“ werden von einer Sopranistin und einem Sprecher vorgetragen. Zu den Fragmenten und Atemklängen gesellt sich ein Vokalensemble als weiterer Part. Und dieses Werk, kontemplativ wie dramatisch zugleich, mit einer kompakten Aufführungsdauer von ca. 90 Minuten wird vom Komponisten selbst am Pult des von ihm gegründeten Klangforum Wien, Sarah Aristidou als Stimm- und Christoph Brunner (Sprecher) und dem von Cordula Bürgi hervorragend präparierten Cantando Admont eindringlich interpretiert, werden doch diese begehrenden Begegnungen wie Erinnerungen an eine gescheiterte Liebe mit ihrem Gesang, Sprechen und individuellem Instrumentalklang beklemmend und höchst spannend umgesetzt. Am Schluss zeigt sich das zahlreich erschienene Wiener Publikum auch von dieser Art Musik(Theater) stark begeistert.

Für das Claudio Abbado Konzert am 29. November 2024 im Musikverein – zum Gedenken des vor zehn Jahren verstorbenen großen Erneuerers und Festivalgründers – zu Arnold Schönbergs 150. Geburtstag haben Wien Modern, RSO Wien, ACOM Austrian Composers und das Arnold-Schönberg-Center um Orchesterwerke gebeten: Die drei von der Jury – bestehend aus Annesley Black, Susanne Blumenthal, Bernhard Günther, Clara Iannotta, Jean-Bernard Matter und Mia Zabelka – ausgewählten Werke (Call for Scores Orchesterwerke Arnold Schönberg 2024) hebt Dirigentin Susanne Blumenthal bei ihrem Debüt am Pult des ORF Radiosymphonieorchesters Wien aus der Taufe. Zu Beginn erklingt Ein Baum. Entwurzelt. Der ins Leere fällt … von Tanja Elisa Glinsner aus 2022, ein gekonnt instrumentiertes Orchesterwerk mit interessanten Klangfarben, gefolgt von der Musik für Kammerorchester von Shiqi Geng  in der Fassung für großes Orchester, entstanden 2022/2023, als erste Uraufführung an diesem Abend, wobei das mit teilweise an Mahler, Strauss und Sibelius gemahnende Werk höchst spannend und abwechslungsreich daherkommt, und bildet das ebenfalls uraufgeführte Aima (Blut) für Orchester von Marios Jannou Elia, den überwiegend lärmenden Schlusspunkt des ersten Konzertteils. Nicolas Hodges ist im zweiten Teil des Konzertes nach der Pause der Solist in einem über den Maßen außergewöhnlichen Werk von einem der bemerkenswertesten Schüler Arnold Schönbergs, nämlich im Concert for piano and orchestra von John Cage. Die ungewöhnliche Sitzordnung der MusikerInnen und die unklassische Dirigiertechnik in diesem 1958 in New York uraufgeführten Stück sorgten 1959 für das vermutlich letzte Skandalkonzert in Wiens Musikleben, verfügt dieses denn keine Partitur im herkömmlichen Sinn, sondern über 63 nummerierte Blätter mit weitgehend grafischer Notation. Besetzung, Dauer und auch konkrete Klänge sind nicht festgelegt, die Dirigentin oder der Dirigent ist quasi ein „Chronometer“ und setzt die Arme wie die Zeiger einer Uhr zur Organisation des sehr freien Ablaufs ein. Susanne Blumenthal am Pult, den Blick in den Zuschauerraum gerichtet, exerziert das souverän, die im Saal verteilten OrchestermusikerInnen holen alles aus ihren Instrumenten heraus. Der Solist bearbeitet, ja traktiert den Steinway geradezu, mitunter erinnert das Ganze doch eher an eine Performance, wenn er mit einem Hammer unter den Flügel kriecht und damit auf den Körper des Instrumentes klopft.  Das schräge Stück amüsiert ein paar junge Damen vor mir in der Sitzreihe – nachvollziehbar – über den Maßen und man wird den Eindruck nicht los, dass sich das Publikum auch Jahrzehnte nach der Uraufführung nicht wirklich damit anfreunden kann, worauf spärlicher Applaus am Schluss hindeuten würde.

Dennoch: Die moderne Musik ist mittlerweile etabliert, vor allem viele junge Menschen sitzen in den Veranstaltungen und hören aufmerksam zu, was sicher auch auf das Engagement von Sandro Nicolussi, Kira David und dem Team vom Wien Modern Jungspund Club zurückzuführen ist. Warten wir zum Schluss mit Freude auf die neuen Termine 2025, an denen Arditti sein Quartett-Projekt nachholen wird.

Themenschwerpunkte
Portait Thomas Rauchenwald
Thomas Rauchenwald
Autor des Blogs „Simply Classic“

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