„Sie halten sie für eine Lügnerin, Betrügerin, für eine hysterische Frau – und im Grunde ist sie nur so unglücklich. Ich möchte, dass alle sie gern haben. Ohne Liebe geht es bei mir nicht.“ (Leos Janácek an Kamila Stösslova am 3. März 1925)
„Die Sache Makropulos“ wird – bedauerlicherweise und nicht nachvollziehbar – sehr selten gespielt. Gewiss, es handelt sich bei E. M. um eine Protagonistin, die nicht nur gesanglich, sondern auch darstellerisch Unmenschliches leisten muss, ist doch die Partie der Emilia Marty eine der anspruchsvollsten und herausforderndsten Rollen, die es auf der Opernbühne für eine Singdarstellerin allererster Güte gibt: Ein Fall für das „interessante Fach“, wie es der ehemalige Wiener Staatsoperndirektor Ioan Holender nennt. Wie stellt man dar, dass ein Mensch schon 337 Jahre lang auf der Erde herumgegangen ist, was er natürlich erst einmal nicht verraten will, was sich aber doch immer wieder geheimnisvoll zeigen muss? Wie sieht ein Körper aus, dessen Existenz mit einem Lebenselixier verlängert worden ist? In welcher biologischen Lebensphase ist er stehengeblieben? Wie geht man an diese großartige Rolle heran?
Wenige Sängerinnen haben Emilia Marty glaubwürdig verkörpert, wenige überhaupt gesungen. Elisabeth Söderström auf Schallplatte, Jessye Norman mit ihrer einzigartigen Stimme an der Metropolitan Opera in New York, Anja Silja – für die Janácek die späte, große Liebe ihres Lebens geworden war – in mehreren Produktionen, Angela Denoke bei Krzysztof Warlikowski in Paris und Christoph Marthaler in Salzburg, um nur die Besten zu nennen. Glaubwürdige Interpretinnen der letzten Jahre waren Nadja Michael bei Arpad Schilling in München, Evelyn Herlitzius in Berlin und Rachel Harnisch bei Kornel Mundruszko in Antwerpen und Brno. Hildegard Behrens hat Emilia Marty ebenso verkörpert, Waltraud Meier bedauerlicherweise nie. Marlis Petersen hat sie im vergangenen Jahr bei Claus Guth an der Berliner Staatsoper ungemein intensiv gestaltet. Vielleicht machen sie noch Anja Kampe, Adrianne Pieczonka, Camilla Nylund und Anja Harteros? Einfach formidabel ist jetzt im Herbst 2023 Karita Mattila in Paris in Warlikowskis wiederaufgenommener Kultinszenierung an der Bastille gewesen. Ausrine Stundyte singt sie demnächst in Lyon, Anna Netrebko kann man sich weniger in dieser Rolle vorstellen, aber wer weiß, ob sie das Publikum nicht eines Tages noch als E. M. überrascht, von Sonya Yoncheva darf man sich Emilia Marty einmal wünschen. Bleibt abzuwarten, wann sich Asmik Grigorian als ausgewiesene Singdarstellerin mit dieser komplexen Rolle auf die Bühne wagen wird.
Emilia Marty – eine ganz große, herrliche wunderbare Rolle für eine ausgewiesene Sängerdarstellerin, für eine Diva reinsten, höchsten Grades: Wäre die Zeit damals reif für das Stück gewesen und wäre es ihre Sprache gewesen – „die“ – gleichsam personifizierte – Verkörperung der Elina Makropulos alias Emilia Marty wäre wohl die große Griechin Maria Callas at herself gewesen.