Im Zyklus Klavier im Großen Saal gastiert am 26. Januar 2024 im Wiener Konzerthaus eine Grande Dame des Klavierspiels, die aus Tiflis stammende, russische Pianistin Elisabeth Leonskaja. Das Programm ihres Solorezitals umfasst Werke eines einzigen Komponisten und zwar zwei Klaviersonaten aus der Feder von Franz Schubert, den sie zeitlebens sehr gerne und sehr oft gespielt hat. Und Elisabeth Leonskaja, die noch mit Svjatoslav Richter gearbeitet hat, zweifellos der russischen Klavierschule entstammend, ist noch eine der letzten herausragenden Schubert-Interpret*innen überhaupt. Die Künstlerin widmet diesen Abend dem Andenken an Peter Weiser, Rudolf Schmidt und Ernst Haupt-Stummer.
Den Beginn macht die Sonate D-Dur D 850, entstanden 1825, die sogenannte „Gasteiner Sonate“, ein technisch höchst anspruchsvolles, wenngleich etwas sperriges Werk, das, wenig verwunderlich, auch dem grimmen Klavierspiel des Monolithen Richter sehr entgegenkam. Der Kopfsatz mit seinen rauschenden Akkorden und flinken Triolen leidet noch ein wenig darunter, dass der Steinway nicht wirklich frei, sondern noch spröde klingt, aber bereits im langsamen zweiten Satz, den Leonskaja ungemein dramatisch aufzuladen versteht, bringt sie das Instrument zum Singen, ganz die farbig erlesenen Kostbarkeiten dieses Satzes betonend. Im dritten Satz lässt sie mit ungemein spannenden Temporückungen aufhorchen, im abschließenden Rondo klingen erstmals an diesem Abend Schuberts Abgründe unter der scheinbar harmlos ausgelassenen Oberfläche auf, womit sie das Publikum auch in die Pause entlässt.
Franz Schuberts große Klaviermusik entzieht sich allen Kategorien, vor allem dann, wenn so gestaltet und interpretiert, wie im zweiten Teil des Klavierabends von Elisabeth Leonskaja, wo die Sonate B-Dur D 960, entstanden 1828, im Todesjahr des Komponisten, erklingt. Besonders hier ist die Ausnahmepianistin Leonskaja in ihrem Element: Große Spannungsbögen aufbauend und voll berstender Innenspannung zu halten, sodass die „himmlischen Längen“ Schuberts, wie sie Robert Schumann charakterisiert hat, ihre ganze Bedeutung gewinnen können. Dunkel timbriert, kraftvoll, aber auch transparent ist ihr Klavierspiel, noch immer voller pianistischer Brillanz. Verzärtelnde Passagen wird man bei Elisabeth Leonskaja vergeblich erwarten, die bereits dem ersten Teil des Abends innewohnende Dramatik wird noch um Einiges mehr geschärft, dennoch bewahrt sie einen ungemein lyrischen Fluss bei aller Bedrohlichkeit, die sich vor allem in den Basstrillern in der linken Hand ungewohnt deutlich auftut. Langsam, getragen, an Svjatoslav Richter oder Valeri Afanasieff erinnernd, breitet sich das berühmte, ganz und gar kantable Hauptthema des ersten Satzes aus und „Lisa“, wie sie ihre Fans liebevoll nennen, gönnt sich und ihrem Publikum sogar die Wiederholung der Exposition, um in der Durchführung einen pianistischen Höhepunkt sondergleichen an diesem Abend zu erreichen, weil sie mit gewaltigen Akkorden die Zerrissenheit der Komposition nahezu herausmeißelt. Zeitlos, elegisch, spinnt sie den langsamen zweiten Satz, die Tupfer mit der linken Hand im Diskant scheinen nicht mehr von dieser Welt. Kapriziös, fein gewoben, leicht fließend huscht das Scherzo vorbei, die nur scheinbare Heiterkeit des Finales ist von schmerzlich großer Melancholie durchtränkt, in der Durchführung rauscht der Steinway ganz groß, mächtig, auf, Schuberts unerhört leidvoller Kummer bleibt dem Publikum hier nicht erspart.
Und nachdem Elisabeth Leonskaja das Publikum durch den Kosmos von Schuberts später Klaviermusik geführt hat und dafür bejubelt wird, bedankt sie sich noch mit gleich drei Zugaben. Die zweite – wie zu erwarten war – ebenso von Franz Schubert, das Klavierstück Es-Dur D 946 Nr. 2, auch hier die bedrohlichen Abgründe deutlich nachzeichnend. Zugaben eins und drei stammen – etwas überraschend – von Claude Debussy – „Feux d’artifice“ aus „Douze Préludes. Deuxiéme Livre und „La plus que lente. Valse“.