Alexander Soddy und Kirill Serebrennikov mit „Lohengrin“ in Paris – musikalisch top, szenisch ein Flop …

Richard Wagner Lohengrin Opéra national de Paris Alexander Soddy Kirill Serebrennikov Piotr Beczala Johanni van Oostrum Ekaterina Gubanova Wolfgang Koch Kwangchul Youn Shenyang
Das Ensemble von "Lohengrin" beim Schlussapplaus

Nach der großartigen Aufführung von Leos Janáceks „Die Sache Makropulos“ war die Spannung auf den neuen „Lohengrin“ am dritten Abend an der Bastille groß. Richard Wagners romantische Oper in drei Akten wird in diesem Jahrtausend an der Opéra national de Paris nun bereits zum dritten Mal neu inszeniert – nach dem Besuch der Aufführung am 14. Oktober 2023 kommt jedoch der Gedanke in den Sinn, die Wiederaufnahme der Inszenierung von Robert Carsen oder jener von Claus Guth, beides überzeugende Regiearbeiten, wäre erquicklicher gewesen. Doch der Reihe nach.

Was die musikalische Seite der Neuproduktion betrifft, ist vorab von einem musikalischen Ereignis in jeder Hinsicht zu berichten. Das beginnt mit dem Choeurs de l’Opéra national de Paris, der von seiner neuen Chorleiterin Ching-Lien Wu hervorragend auf seine dankbare Aufgabe vorbereitet wurde. Gewiss darf man sich nicht die Artikulation des Bayreuther Festspielchores erwarten, zu hören ist aber prächtig schallender, differenzierter, plastischer wie schwebender Chorgesang vom ganz Feinen – eine unbedingte Voraussetzung für das Gelingen einer Aufführung dieses Stückes. Dieser blendende Eindruck wird vom hervorragend musizierenden, in glänzender Verfassung befindlichen – hervorzuheben das fein abschattierte Holz, die samtig, mediterran glühenden Celli und das starke Blech – Orchestre de l’Opéra national de Paris noch unterstrichen, ja verstärkt. Nachdem Gustavo Dudamel nach nicht einmal einem Jahr im Amt die Position des Musikdirektors an der Pariser Oper wieder zurückgelegt hatte, hat diese Neuproduktion der junge britische Dirigent Alexander Soddy, derzeit Generalmusikdirektor in Mannheim, kurzfristig übernommen. Sein Dirigat von „Lohengrin“ ist uneingeschränkt zu genießen, sodass es kein Wunder ist, dass dieser Dirigent der jungen Generation bereits ein vielbeschäftigter Mann an der Wiener Staatsoper ist und beispielsweise nach Stationen in Klagenfurt, Hamburg und Frankfurt bereits an der Bayerischen Staatsoper München, der Berliner Staatsoper, der Semperoper Dresden, der Metropolitan Opera New York und am Royal Opera House Covent Garden viele Produktionen leitet. Soddy ist die große Geste nicht fremd, das Ergebnis gerät überzeugend – vom flirrend schwebenden, unter Höchstspannung stehenden Vorspiel bis zum niederschmetternden Schluss gelingt der Aufbau und das Halten eines Spannungsbogens sondergleichen über die ganzen drei Akte bei organisch gewählten, flüssigen, stets auf die Möglichkeiten der Sänger*innen achtenden Tempi. Man wird von diesem jungen Mann wohl noch viel Gutes zu hören bekommen.

Was die Sänger*innen betrifft, ist an der Opéra Bastille eine exquisit exzellente Besetzung aufgeboten und obwohl man mit Superlativen vorsichtig umgehen sollte, eine Besetzung die man in dieser Qualität nicht alle Tage zu hören bekommt und wo alle stimmlich aus dem Vollen schöpfen. Bereits der junge chinesische Bass-Bariton Shenyang als Heerrufer lässt keine Wünsche offen, was einen prägnanten Heerrufer betrifft, vielleicht lässt sich an der Aussprache noch ein wenig nachbessern. Kwangchul Young, stimmlich hörbar im Herbst seiner Karriere stehen, verströmt als König Heinrich dennoch Würde und Erhabenheit mit vollem, um ebenmäßige Stimmführung bemühten Bass. Wolfgang Koch, erfahren und bewährt in dieser Rolle, singt mit kernig fokussiertem Bariton einen vielschichtigen, ausdrucksreichen Graf Telramund, dem auch die unangenehmen Höhen der Partie nicht zusetzen können. Furios mit glühend loderndem Mezzosopran und durch Mark und Bein dringend gestaltet die für die erkrankte Nina Stemme eingesprungene Ekaterina Gubanova mit festem Stimmsitz und nuancenreichem Vortrag die Ortrud. Elsa von Brabant wird von Johanni van Oostrum gegeben, deren Sopran bereits etwas zu stark für die lyrischen Abschnitte der Partie daherkommt, dennoch aber vollends überzeugen kann, weil das riesige Haus einfach große Stimmen bevorzugt, was die Tragfähigkeit in den amphitheatermäßig konstruierten Zuschauerraum betrifft. Nachdem er erkrankt war und eine Aufführung der aktuellen Premierenserie absagen musste, hat sich Piotr Beczala vor der Vorstellung aus Vorsicht ansagen lassen, vermag in der Titelrolle aber mit schmelzreichen strahlenden Tenorgesang, im Timbre ein wenig an Sandor Konya erinnernd, herrlicher Phrasierung wie Nuancierung vollends zu überzeugen und meistert den gefährlichen dritten Akt, vor allem die Höhen, mit seiner einfach stupenden Gesangstechnik.

Das Erleben dieser musikalisch hochwertigen Aufführung muss das szenische Desaster, was sich über drei Akte ausbreitet, entgelten. Für die Inszenierung und die Regie verantwortlich zeichnet der hoch im Kurs stehende russische, zum ersten Mal an der Pariser Oper arbeitende Film-, Theater- und Opernregisseur Kirill Semjonowitsch Serebrennikov, nach Beendigung seines über ihn wegen Betrugsvorwürfen vom russischen Staat verhängten Hausarrestes mittlerweile in Berlin lebend, bereits für die „Goldene Palme“ in Cannes und den „Goldenen Löwen“ in Venedig. Unterstützt bei seiner Arbeit wird der putinkritische Theatermacher von Olga Pavluk (Bühne), Tatiana Dolmatovskaya (Kostüme), Franck Evin (Licht), Alan Mandelshtam (Video), Evgeny Kulagin (Choreografie) und Daniil Orlov (Dramaturgie). Wie bei seiner Inszenierung von „Parsifal“ an der Wiener Staatsoper deutet er Stück und Handlung – plakativ, tagespolitisch inspiriert, sehr aufgesetzt, in keiner Weise überzeugend – um. Inspiriert vom furchtbaren Krieg in der Ukraine – wie platt das Ganze – ist bei Serebrennikov die ganze Welt im Krieg. Das Kostüm von Lohengrin gemahnt an die Bekleidung des ukrainischen Präsidenten Wolodimir Selenskij. Im Zentrum des Geschehens steht – wieder einmal, warum nur? – Elsa, eine hier schwer traumatisierte, geisteskranke, schizophrene Frau, die eine Vision von einem Beschützer hat und gleich von zwei Tänzerinnen gedoubelt wird. Ortrud mutiert zur Psychiaterin und Direktorin einer psychiatrischen Klinik, ihr Gatte zum selbst kriegsversehrten Militärpsychiater und Direktor eines Feldlazaretts. König Heinrich ist ein um Publicity bemühter Verteidigungsminister, der Heerrufer dessen Vollstrecker; die vier Edelknaben sind Kolchosenbäuerinnen, vier brabantische Edle Apparatschiks. Die Handlung spielt in einer psychiatrischen Klinik an einer Kriegsfront. Diesem Unfug entsprechend heißt der erste Aufzug bei Serebrennikov „Das Delirium“, der zweite „Die Realität“ – dreigeteilte Bühne, links gesunde, in der Mitte verwundete, rechts tote Soldaten – und der dritte “Der Krieg“. Cinemascopeartige Bilder dominieren das Geschehen, der vom Film kommende Regisseur versteht durchaus sein Handwerk, allein die Umsetzung ist durch und durch mangelhaft, erzählt er doch nicht die Geschichte und entwickelt weder aus dem Text noch aus der Musik eine subtile, psychologisch fundierte Personenregie. Zentrale Stellen – der Kampf zwischen Lohengrin und Telramund im ersten, der versuchte Mord Telramunds an Lohengrin im dritten Aufzug – verweigert der Regisseur: Ach ja, spielt sich ja alles nur im kranken Kopf Elsas ab. Am Schluss findet Ortrud Telramund unter den Kriegsopfern, nicht Elsa, sondern Ortrud singt daher „Mein Gatte! Mein Gatte!“; zuvor, mittels „Gralserzählung, spricht Lohengrin alias Präsident Selenskij zu seinen Soldaten. Es mag sich jede und jeder selbst ein Bild von Sinn und Gehalt dieser öden Regiearbeit machen: Wagners Hintergründe und Intentionen – die Kollision von Geschichte und Mythos, Religions- und Kapitalismuskritik, das Scheitern einer zum bedingungslosen Gehorsam aufrufenden Führerfigur – dieses Werkes, welches die Vollendung und das Ende der romantischen Oper darstellt und wofür die Pariser Oper einen Aufführungsort per excellence darstellt, wird auf diese Art und Weise vollkommen entstellt wie verstümmelt.

Jubel gibt es am Schluss zu Recht für die Ausführenden, in einer Folgeaufführung stellt sich die Regie glücklicherweise ja auch nicht mehr dem Publikum.

Themenschwerpunkte
Portait Thomas Rauchenwald
Thomas Rauchenwald
Autor des Blogs „Simply Classic“

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