Christian Thielemann dirigiert „Lohengrin“ an der Wiener Staatsoper

Jubel für Christian Thielemann und das Orchester der Wiener Staatsoper nach "Lohengrin" © Thomas Rauchenwald

An der Wiener Staatsoper steht als vorletzte Neuproduktion der laufenden Saison Richard Wagners „Lohengrin“ am Spielplan. Gezeigt wird dieselbe Inszenierung wie bei den Osterfestspielen Salzburg 2022, wo das Regieteam – Jossi Wieler, Sergio Morabito und Anna Viehbrock – das Stück einer bewussten Neudeutung unterzogen hat, soll heißen, Elsa hat ihren Bruder Gottfried tatsächlich ermordet und lügt ihre Unschuld, die böse Zauberin Ortrud und der von ihr gesteuerte Graf Telramund sind die Guten. Aus diesem Ansatz wird für das Bühnenbild im Zusammenspiel mit den Kostümen ein kindlich-naiver Raum entwickelt. Elsa ist ein Opfer, soll sie doch in einer Zwangsehe mit Telramund für politische Zwecke missbraucht werden. Dementsprechend sehnt sie sich – quasi als Utopie und psychoanalytisch im Unterbewusstsein – den fremden Ritter als Helfer herbei, der in dieser Regiearbeit auch äußerst fremd gezeichnet und charakterisiert ist. Kann solch‘ ein Konzept aufgehen?

Mitnichten und genügt zur Beantwortung dieser Frage nur ein Blick ins Libretto, womit ein ernstzunehmendes Regieteam vertraut sein und bei der Interpretation eines Werkes davon ausgehen sollte, wo es, gleich nach dem Auftritt des Schwanenritters, heißt: „Nun hört! Euch, Volk und Edlen, mach‘ ich kund. Frei aller Schuld ist Elsa von Brabant!“ Und das Unbehagen über diese mutwillige Inszenierung nimmt von Beginn an seinen Lauf. Anstelle einer dichten, zwingenden, subtilen, psychologisch fundierten Personenführung ist wenig inspiriertes, oberflächlich arrangiertes Stehtheater auf Stadttheaterniveau zu sehen: Von Wagners Werk, das Ende wie Vollendung der romantischen Oper schlechthin darstellt und zwischen Märchen und Konflikt changieren sollte, ist in dieser Regiearbeit so gut wie nichts zu erfahren. Das Einheitsbühnenbild ist schmucklos, erinnert an eine Wehranlage, als Modell dient das Rückhaltebecken für die Regulierung des Wienflusses an der Grenze zwischen dem 13. und 14. Wiener Gemeindebezirk. Lohengrin erscheint, natürlich ohne Schwan, aus einem Kanal, aus dem im dritten Akt auch ein hässliches, hölzernes Brautbett auftaucht, dieses und der Schwanenritter, in der Inszenierung von Wieler/Morabito/Viehbrock eine joviale, an Monthy Pythons „Ritter der Kokosnuss“ erinnernde Karikatur eines Helden, verschwinden auch wieder im Abfluss. Der in diesem Konzept die Brabanter unterwerfende König als Kriegsherr, ein debiler Schwächling, der zu Beginn des dritten Aktes auch den Brautchor dirigiert, und der Generalissimus Heerrufer singen ständig ins Publikum, wenden sich weder an Volk, Edle, Grafen und sonstige Handlungsträger. Von einem bewährten Regieteam darf man sich im Rahmen einer Neuproduktion an einem der ersten Opernhäuser weltweit deutlich mehr erwarten. Wieler, Morabito und Viehbrock zeigen im ästhetisch höchst fragwürdigen Ambiente korrekterweise ein im Grunde hoffnungsloses Stück, wo es im Wesentlichen um Vertrauen und dem Missbrauch desselben geht, sind aber nicht in der Lage, es auf Grund einer fehlinterpretatorischen, mutwillig plakativen wie bedenklich oberflächlichen (Neu)Deutung zu erzählen. Und ist „Lohengrin“ auch eine ausgewiesene Choroper, stellt sie doch das größte Choraufgebot sämtlicher Wagnerscher Opern überhaupt. Ausgehend von der Bedeutung des Chores im antiken griechischen Drama wird zwar der Chor als Handlungsträger stark visualisiert, allerdings mit ebenso fragwürdigem Ergebnis wie die ganze Inszenierung, sind als Masse zur Hälfte Soldaten, zur Hälfte Zivilisten zu sehen, die am Ende alle gemeinsam in den Krieg ziehen. Ein merkwürdiges Potpourri an Kostümen aus verschiedenen Zeitepochen – Wilhelminismus, Erster Weltkrieg, Neuzeit – wirkt nur lächerlich, ebenso ständiges Winken wie Fähnlein Schwingen. Und ja – am Schluss zieht Elsa, dieses lasziv-kindliche Luder, wie sie in dieser Inszenierung dargestellt wird, die Wasserleiche ihres Bruders Gottfried aus dem Wehrkanal, der, zum Leben erweckt, seine Schwester mit einem Schwert meuchelt. Von einer konsequenten, überzeugenden Regie, welche die Charaktere deutlich herausarbeitet und die handelnden Personen zwingend in ihrem Kontext zeichnet, ist wenig zu sehen. Adäquat dazu ist auch die wenig stimmige, eher trostlose Lichtregie von Sebastian Alphons.

Was die Besetzung angeht, ist man an diesem Abend des 2. Mai 2024 bedauerlicherweise meilenweit von Weltklasse entfernt. Einzig allein die furiose Ortrud, Bayreuther Tradition entsprechend mit einer echten Hochdramatischen in Person der stimmlich fulminanten Anja Kampe besetzt, vermag restlos zu überzeugen. Der Heerrufer von Attila Mokus agiert zwar sehr wortdeutlich, phonetisch jedoch zu schwach. Georg Zeppenfeld als eigenartig schwächelnder König agiert weit unter seinem gewohnten Niveau. Martin Gantner gibt mit hellem Bariton einen zwar präsenten, stimmlich aber doch zu leichtgewichtigen Telramund. Malin Byström mit ihrem dunkel timbrierten, mitunter tremolierenden Sopran vermag als Elsa leider nur wenig zu berühren. In der Titelrolle aufgeboten ist für die Premierenserie der britische Tenor David Butt Philip, dem Wiener Publikum bereits als Stolzing in Wagners „Meistersingern“ bekannt. Der sympathische Sänger verfügt in den leisen, lyrischen Passagen über nahezu betörenden Tenorschmelz. Die eng geführte Stimme hat jedoch wenig Fundament in der Tiefe, ab dem Mezzoforte-Bereich wirkt das Organ angestrengt, die Höhen kommen kurz und gepresst. Hat da jemand vielleicht zu früh einen Fachwechsel vollzogen?

Dass der Besuch der aktuellen Serie von „Lohengrin“ im Haus am Ring dennoch lohnt, liegt an zwei Komponenten. Zum einen an den wunderbar differenzierten, schwebenden wie prächtig schallenden Chorgesang gleichsam verströmenden Chorgesang des von Thomas Lang hervorragend für seine große Aufgabe präparierten Chor der Wiener Staatsoper. Eine derartige Chorleistung ist bei diesem Werk in der Regel nur bei den Bayreuther Festspielen zu erleben. Und im Wesentlichen am an diesem Abend einfach überirdisch musizierenden, herrlich aufspielenden, in allen Instrumentengruppen formidabel aufgestellten Orchester der Wiener Staatsoper unter einem großartigen Dirigat vom ausgewiesenen Wiener Publikumsliebling Christian Thielemann. Nahezu ein Wunder bereits der Einsatz des Celli-Chores im Vorspiel, von den philharmonischen Solisten ragen Soloklarinette und Pauke besonders heraus. Durchsichtig, wohlklingend, nimmt Thielemann die Partitur, entfacht einen ungeheuren Drive, erzielt einen Sog, dem man sich nicht entziehen kann. Lyrik, Beseeltheit, Wärme wie der große, leuchtende Klang solch‘ Musizierens suchen Ihresgleichen, derart vollendet hat man das Werk lange nicht gehört. Zu bewundern sind da in allen Schattierungen schimmernde Orchesterfarben, breit ausschwingende melodische Emphasen, gewaltig aufrauschende Streicher-Crescendi, fantastisch rhythmischer Schwung der Bläserfanfaren. Der Dirigent ist fortwährend um höchste Transparenz wie ausgefeilter SängerInnenbegleitung bemüht, betont stark herausgearbeitet wird die Gegenüberstellung der gleißend hellen Gralswelt Lohengrins und der dunkel finsteren Welt Ortruds – musikdramatische Aktion vom Allerfeinsten!

Am Ende gibt es einen verdienten Beifallsorkan für Thielemann und das Orchester, der Applaus für die SängerInnen ist enden wollend.

Themenschwerpunkte
Portait Thomas Rauchenwald
Thomas Rauchenwald
Autor des Blogs „Simply Classic“

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert