Im Jänner 2011 kam sie an der Oper Graz zur Premiere, die Inszenierung von Peter Konwitschny mit der Ausstattung von Johannes Leiacker des Melodrammas in drei Akten, „La traviata“, mit der Musik von Giuseppe Verdi und dem Libretto von Francesco Maria Piave nach dem Roman „La Dame aux camélias“ von Alexandre Dumas dem Jüngeren. Damals ein Riesenerfolg, mittlerweile regelmäßig wiederaufgenommen, hat diese Regiearbeit mittlerweile Kultstatus erreicht, und das nicht zu Unrecht. Requisiten gibt es so gut wie keine – nur Vorhänge, einen Stuhl, einen Stapel Bücher: Der Regisseur richtet den Fokus ganz auf die Titelrolle, auf einen Engel, der eine Hure ist, wie es der Komponist behauptet. In exzellenter, psychologisch fundierter, nahezu zwingender Personenführung, die zugleich effektvoll wie berührend ist, erzählt er die „Geschichte einer Frau, die erfährt, dass sie in Kürze sterben muss, und das nicht so einfach hinnimmt. Sie benutzt quasi diesen Mann als Partner in ihrem Kampf, den Tod rauszuschieben.“ (Konwitschny). Der Regiemeister zeigt in eindringlicher Manier diese liebende Kurtisane als Menschen – verfolgt, getrieben von der oberflächlich genusssüchtigen, empathielosen Masse – und das Scheitern dieser bereits sterbenskranken jungen Frau an der Gesellschaft in einer alptraumhaften, bisweilen surrealen Umgebung. Die Dekoration dominieren Theatervorhänge, deren Durchschreiten für den Regisseur auch die Bewegung hin zum Tod bedeutet. Und diesen Tod stirbt Violetta ganz allein, völlig einsam auf der leeren Bühne, indem sie in das schwarze Bühnenoff entschwindet, Alfredo Germont, Giorgio Germont, Annina und Doktor Grenvil agieren ganz zum Schluss aus dem Publikum, Konwitschny gelingen immer wieder beklemmende Bilder. Florian Kutej ist für die szenische Einstudierung verantwortlich, Konwitschny selbst war wohl in die Vorbereitung für diese Wiederaufnahme am 6. Oktober 2024 nicht involviert gewesen.
Dass die Produktion auch dieses Mal beim Publikum nicht ihre Wirkung verfehlt, liegt auch an der musikalischen Seite des Abends. Die akkurat musizierenden Grazer Philharmoniker werden mit viel Italianità, Brio, Verve, Dramatik und Gefühl von Matteo Beltrami, der auch gekonnt auf die SängerInnen achtet, dirigiert; der Chor der Oper Graz, einstudiert von Johannes Köhler, steuert differenzierten Chorgesang bei. Die kleinen Partien sind rollendeckend solide aus dem Ensemble der Grazer Oper besetzt. Alfredo Germont ist wieder Alexey Neklyudov, der die Tenorrolle mit lyrischer Emphase schmelzreich und emotional zu gestalten wie zu singen weiß und im Laufe des Abends auch immer kräftiger und sicherer in der Stimmführung wird. James Rutherford, schon bei der Premiere dabei, gibt mit vollem, starkem und sattem Bariton wiederum Giorgio Germont, strömt einerseits mächtig wie ein Holländer durch die Partie, überzeugt aber auch mit wunderbaren Legatophrasen und feinen Zwischentönen. Die aus Russland stammende, zum Star des Abends avancierende, neue Grazer Violetta Valery heißt Galina Cheplakova: Mit ihrer unter die Haut gehenden Gestaltung der Lebedame, die ihre Lebensliebe erfährt, aber dennoch tragisch sterben muss, begeistert sie das Publikum. Beeindruckend ihre über die Register bruchlos geführte Stimme, die großen, fein gezogenen Legatobögen und betörend ergreifenden Klangfarben; zudem verfügt die junge Sängerin über alles, was für diese Partie benötigt wird, neben einer präzisen Intonation auch gefühlvolle Piani und makellose Koloraturen. Der Weg nach Graz hat wieder einmal sehr gelohnt.