Seit Coronazeiten, konkret seit April 2021, wird Richard Wagners letztes Musikdrama, „Parsifal“, an der Wiener Staatsoper in der Regie und der Ausstattung des russischen Theater-, Opern- und Filmregisseurs Kirill Serebrennikov gespielt. Gegen den Inszenierungsansatz – die Gesellschaft der Gralsritter ist eine verkommene, im russischen Straflager dahinvegetierende Gemeinschaft von Outlaws, Amfortas ist ein traumatisiert Verwundeter, Gurnemanz eine Art graue Eminenz im Gulag, der für Gewaltlosigkeit eintritt und andere Strafgefangene tätowiert, Erlösung bedeutet Freiheit – mag grundsätzlich nichts einzuwenden sein, allein die szenische Umsetzung auf der Bühne gerät ästhetisch mehr und mehr fragwürdiger, weil im krassen Widerspruch zur an diesem Abend sanft fließend, mild interpretierten Musik des Bühnenweihfestspiels. Je öfter ich die Produktion erlebe, umso öder muten die Bilder der Sträflinge an, die mittel großer Videoprojektionen über der Bühne zu sehen sind. Als störend erweisen sich auch die permanenten Raufhandlungen, die unter den Häftlingen ablaufen. Gewiss, Serebrennikov gelingen mitunter beklemmende Bilder, die jedoch auch Verstörung hervorrufen. Eine große Schwachstelle der Inszenierung stellt leider die an sich gelungene Personenregie dar, welche jedoch oft nicht im Einklang mit dem wagner’schen Text steht.
Sei’s d’rum. Was die musikalische Seite betrifft, gelingt die Aufführung am 28. März 2024 weitgehend hervorragend, was sich auch in heftigen Akklamationen seitens des Publikums nach der Aufführung niederschlägt. Hervorzuheben ist zunächst der plastisch differenzierte, schwebend wie machtvoll tönende Chor. Sehr gut in allen Instrumentengruppen aufgestellt ist auch das Orchester der Wiener Staatsoper, herausragend die samtig schimmernd gestrichenen Celli sowie die fein abgetönten, einfach berückenden Soli von Oboe und Klarinette, vor allem im „Karfreitagszauber“ im dritten Aufzug. Am Pult steht der in dieser Saison an der Wiener Staatsoper vielbeschäftigte Alexander Soddy und dem jungen britischen Dirigenten ist eine im Ergebnis sehr gute Leistung zu zollen. Was die Tempodramaturgie betrifft, gerät der erste Aufzug durchgehend flüssig ohne Weihepathos und setzt Soddy im zweiten Aufzug auf betont stärkere, dramatischere Akzente. Im dritten Aufzug scheint er dann vom Klang aus dem Graben am Pult nahezu überwältigt, was sich im langen Auskosten orchestraler Bögen niederschlägt, welches gefährlich nahe am Schleppen liegt. Kompaktheit und Homogenität im Hinblick auf durchgehend ausgewogene Tempi wird sich im Laufe der aktuellen Aufführungsserie aber gewiss noch einstellen.
Auch die Besetzung ist an diesem Gründonnerstag exzellent. Wolfgang Bankl orgelt aus dem Off einen mächtigen Titurel. Bei seinem Debüt am Haus überzeugt Werner van Mechelen mit einem prägnanten, stimmstarken Klingsor. Michael Nagy ist ein kraftvoll leidender Amfortas. Günther Groissböck bei seinem Rollendebüt am Haus als Gurnemanz begeistert mit seinem imposanten, wortdeutlichen, satten Bass. Ebenfalls sein Rollendebüt am Haus gibt Daniel Frank in der Titelrolle, der mit geschmeidig kernigem, gut fokussiertem Tenor zu überzeugen vermag. Neben Groissböck die beste stimmliche Leistung des Abends erbringt Elina Garanca als Kundry: Ebenmäßig in allen Lagen, volltönend, strömt ihr edler Mezzosopran. Stimmlich vollzieht sie die Wandlung der sich sühnend hingebenden Dienerin des ersten über das libido-besessene Urweib des zweiten bis zur erlösten Büßerin des dritten Aktes ausgezeichnet: Diese Urteufelin, diese Höllenrose brennt, girrt mit ihrer ausdrucksstarken Prachtstimme förmlich vor Erotik. Der damalige Parsifal wird wieder vom Schauspieler Nikolay Sidorenko verkörpert.