„Dunkel ist das Leben …“ – DAS LIED VON DER ERDE im Wiener Konzerthaus

Wiener Symphoniker Wiener Konzerthaus Robin Ticciati Michael Spyres Karen Cargill

„ … ein großes Lebewohlsagen, ein Abschied von Jugend, Schönheit, und Freundschaft“ bzw. „… das Persönlichste …, was ich bis jetzt gemacht habe“ äußerte sich Gustav Mahler selbst über „Das Lied von der Erde“, gelegentlich als Symphonie bezeichnet, einem Zyklus von sechs Gesängen für Alt- oder Bariton-, Tenorsolo und Orchester, komponiert 1908 und 1909 in Toblach, uraufgeführt erst nach dem Tod des Komponisten am 19. November 2011 in München von seinem Freund Bruno Walter, auf der Basis von Gedichten von Hans Bethge aus der Sammlung „Die chinesische Flöte“. Der symphonische Liederzyklus gehört zu den stärksten Werken Mahlers und steht dieses besondere Werk am 8. Oktober 2023 auf dem Programm des ersten Konzertes der Wiener Symphoniker in ihrem Zyklus im Wiener Konzerthaus, und zwar in der von Walter bevorzugten Besetzung mit einer Frauenstimme.

Von den ersten Takten an musiziert das Orchester unter Hochspannung und wird das Werk in einem breiten Luxusklang präsentiert, dem aber nie Transparenz und Luzidität abhandenkommen. Robin Ticciati, britischer Dirigent mit italienischen Wurzeln, gefördert von Sir Colin Davis und Sir Simon Rattle, Chefdirigent des Deutschen Symphonie-Orchesters Berlin seit 2017 und Musikdirektor der Glyndebourne Festival Opera seit 2014, führt die Wiener Symphoniker straff, nimmt sich aber Zeit für die Schönheiten des Werkes, wobei herbstlich erdige Farben dominieren und selbst die Generalpausen vom Pult aus mit Spannung erfüllt werden. Ticciati setzt zudem stark auf den hymnischen Charakter von Mahlers spätromantischer Musik, betont aber auch deren Ausstrahlung in die beginnende Moderne und trifft den abgeklärten, letzten Teil, der ungefähr beinahe so lange wie die ersten fünf Teile dauert, mit dem hervorragend musizierenden Orchester genau. Man darf annehmen, dass diesem jungen Mann eine glänzende Dirigentenkarriere bevorstehen wird.

Als Solist*innen aufgeboten sind der amerikanische, für seine besondere Vielseitigkeit bekannte Tenor Michael Spyres und die schottische Mezzosopranistin Karen Cargill, die ihre Laufbahn mit dem prestigereichen „Kathleen Ferrier Award“ begann. Michael Spyres beeindruckt mit heldentenoral gefärbtem, dennoch schmelzreichem Singen und hervorragender Artikulation. Die Ausbrüche in „Das Trinklied vom Jammer der Erde“ stemmt er beeindruckend, obwohl es wahrscheinlich keinen Tenor gibt, der hier von den Orchestermassen nicht erdrückt zu werden droht. Die überwiegend im Parlando gesetzten Abschnitte „Von der Jugend“ und „Der Trunkene im Frühling“ werden mit bestens fokussierter Stimme vorgetragen. Karen Cargill verfügt über eine überaus große, reiche, bereits in Altregionen angesiedelte Mezzosopranstimme, die Zeit braucht, um sich richtig einzuschwingen. In den melancholisch gefärbten Abschnitten von „Der Einsame im Herbst“ klingt bereits an, wozu diese Stimme fähig ist, die rasanten Abschnitte in „Von der Schönheit“ sind ihre Sache nicht, in der letzten Strophe des vierten Liedes ist die Sängerin, die an Artikulation und Wortdeutlichkeit noch etwas feilen sollte, aber plötzlich ganz in ihrem Element, um Mahlers Zyklus mit einer beeindruckenden Gestaltung von „Der Abschied“ abzuschließen, der so zum menschlich ergreifenden Höhepunkt des Abends gerät.

Das Publikum spendet den Ausführenden langanhaltenden Applaus für eine sehr gelungene Wiedergabe. Das Foto zeigt die Künstler*innen beim Schlussapplaus.

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Portait Thomas Rauchenwald
Thomas Rauchenwald
Autor des Blogs „Simply Classic“

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