Die Wiener Philharmoniker haben im Rahmen ihres ersten Abonnementkonzertes der neuen Saison am 1. Oktober 2023 den britischen Dirigenten Daniel Harding ans Pult gebeten und als Hauptwerk ein Standardwerk des symphonischen Repertoires auf das Programm gesetzt, das beim Publikum äußerst beliebt ist – die Symphonie Nr. 9, e-moll, op. 95, „Aus der neuen Welt“, von Antonín Dvorák. Eigenartigerweise zündet die Wiedergabe in dieser Matinee aber nicht wie gewohnt. Episch breit legt Harding das Werk an, als möchte er eine Symphonie von Bruckner oder Mahler entfalten, Spannung oder so etwas wie einen böhmischen Tonfall lässt er dabei zur Gänze vermissen, und auch die Elemente des Werkes, die nicht der klassisch-romantischen Musiksprache entstammen, erklingen an diesem Vormittag wenig „amerikanisch“. Absolute Meisterwerke – und ein solches stellt das Stück dar – halten jedoch viel aus und so provoziert auch die mitunter laute, lärmende, getragene Gangart Hardings den Jubel des Publikums. Die Wiener Philharmoniker musizieren denn auch mit dem unvergleichlichen, diesem Orchester innewohnenden Schönklang, besonders hervorzuheben natürlich der Solist am Englischhorn, weshalb der zweite Satz noch den stärksten Eindruck im Rahmen dieser Wiedergabe hinterlässt.
Dass man als Abonnent bzw. Hörer nach dem Konzert dennoch beglückt den Wiener Musikverein verlassen hat, lag im Wesentlich am ersten Teil, wo ein bedauerlicherweise viel zu selten gespieltes Werk erklang – das dreisätzige Violinkonzert, h-moll, op. 61, von Edward Elgar. Kein Geringerer als der deutsche Geiger Frank Peter Zimmermann wurde dazu als Solist eingeladen und geriet dessen Interpretation schlechthin formidabel. Abgesehen davon, dass er technisch über den Dingen zu stehen scheint, was die enormen geigerischen Schwierigkeiten des Stückes betrifft, findet er zu einer betörenden Klangschönheit wie Größe in seinem Geigenton. Das Musizieren des von Intellekt durchdrungenen Künstlers mit dem herrlich aufspielenden Orchester – hier entfaltet auch Dirigent Harding seine wahren Stärken – ist von gegenseitiger Inspiration wie Hochachtung geprägt und das merkt man in jedem Takt, in jeder Phrase bei der von Leidenschaft, Glut und Wärme durchdrungenen Interpretation. Eine Zugabe verweigert der Solist, was ihm nach der Länge des Konzertes von beinahe 50 Minuten Spieldauer wohl niemand im begeisterten Publikum verübelt. Dass Elgars Violinkonzert zum Fest geriet, lag auch am Instrument, das Zimmermann zu spielen pflegt – die Violine „Lady Inchiquin“ von Antonio Stradivari aus 1711. Dieses Instrument, das durch seinen immens tragenden Ton, den Zimmermann auf wunderbare Art und Weise nahezu zum Leuchten bringt, gehörte ehemals Fritz Kreisler, dem Widmungsträger von Elgars Violinkonzert, der das Werk unter der Leitung des Komponisten 1910 zur Uraufführung brachte. Und man darf spekulieren, ob Kreisler damals auf jenem herrlichen Instrument gespielt hatte, mit dem auch Zimmermann an diesem philharmonischen Vormittag in Staunen versetzte. Das Privatfoto zeigt die Ausführenden beim Applaus nach Elgars Violinkonzert.