Ein Hexer am Klavier und ein Gipfelsturm mit geballter Kraft im Wiener Konzerthaus

Daniil Trifonov, Rafael Payare und das OSM im Wiener Konzerthaus nach Beethovens 1. Klavierkonzert © Thomas Rauchenwald

1934 gegründet, nimmt das Orchestre symphonique de Montrèal (OSM) einen zentralen Stellenwert im Musiklebens Kanada ein und ist dieses Orchester neben häufigen Konzertreisen in die ganze Welt mit zahlreichen Tonträgern bei international renommierten Labels vertreten. Nach einer Reihe von exzellenten Chefdirigenten, um mit Zubin Mehta, Charles Dutoit und Kent Nagano nur die wesentlichsten der letzten Jahrzehnte zu nennen, steht der aus Venezuela stammende, 1980 geborene Rafael Payare nun in seiner dritten Saison als musikalischer Leiter dem OSM vor. Für Payares Dirigierausbildung waren spätere Mentoren wie Krzysztof Penderecki und vor allem Lorin Maazel (!) maßgeblich. Am 30. November 2024 gastiert das OSM nun unter seinem Chef, dem ein gewisses charismatisches Auftreten zu attestieren ist, im Großen Saal des Wiener Konzerthauses mit einem exquisiten Programm.

Den Beginn macht die Orchesterrhapsodie Jeder Baum spricht des 1985 in Teheran geborenen Iman Habibi, assoziierter Komponist des Canadian Music Centre, anlässlich des 250. Geburtstages von Ludwig van Beethoven in Auftrag gegeben, worin der Komponist über die Klimakatastrophe im Dialog mit Beethovens V. und VI. Symphonie reflektiert, was sich ohne entsprechende Information im Programmheft aus den doch eher gefälligen Tönen allein nicht erschließen würde.

Danach ist ein wahrer Hexer, was die Pianistenkunst unserer Tage betrifft, zu erleben: Daniil Trifonov, in New York lebender, aus Russland stammender Pianist, der neben einer ungemeinen technischen Brillanz auch über enorme Anschlagskultur bis zur feinsten Zärtlichkeit wie abgründige interpretatorische Dämonie verfügt. Mit einem an Entrücktheit grenzenden Auftreten und einfach fulminanten Klavierspiel nimmt er sich gemeinsam mit dem OSM unter Payare an diesem Abend dem Klavierkonzert Nr. 1 C-Dur op. 15 von Ludwig van Beethoven an. Oft als spielfreudige Gesellschaftsmusik der damaligen Zeit komplett missverstanden, verleiht er mit seiner schnörkellosen, quirlig perlenden Interpretation dem Werk enormen (Stimmungs)Gehalt, unterstrichen von gezieltem Einsatz des Pedals bei Setzen starker pianistischer Akzente. Die brillanten Läufe sind naturgemäß eine Gelegenheit, sein großes Können zu zeigen und bedankt sich Trifonov beim begeisterten Publikum mit dem Adagio aus dem Ballett Dornröschen op. 66 von Peter Iljitsch Tschaikowsky in der Bearbeitung für Klavier von Michail Pletnev.

Was ein Dirigent kann, vermag er in der Regel mit Eine Alpensinfonie, der Tondichtung für großes Orchester op. 64 aus der Feder von Richard Strauss, dem Werk, das nach der Pause auf dem Programm steht, unter Beweis zu stellen. Ohne den philosophischen Gehalt einer Lebensreise von der Geburt bis zum Tod – das Stück ist nicht nur Programmmusik mit  der Schilderung einer Alpenwanderung mit Auf- und Abstieg – nachzuspüren, wird dieses monströse Orchesterwerk, mit dem raffiniertesten Klangsensualismus, der sich nur denken lässt, ausgestattet, den Intentionen seines Schöpfers nicht gerecht. Glücklicherweise versteht der intuitive, höchst musikalische Dirigent diesen Aspekt der Tondichtung umzusetzen. Mit fulminanter Schlagtechnik – wohl auf die Ausbildung bei Maazel zurückgehend – ausgestattet, setzt Payare mit dem an sich sehr gut aufspielenden Orchester, von kleinen Unstimmigkeiten im Blech abgesehen, zu einem geballt kompakten Gipfelsturm voller Kraft an und gelingt vor allem der Ausklang zurück in die Nacht groß, bewegend. Die sinnlich silbrig gefärbten Streicher überraschen, das kecke Holz klingt bestens präpariert. Das Fernorchester hinter der Szene bilden Studierende der mdw – Universität für Musik und darstellende Kunst Wien. Ein Konzertabend, der ungetrübte Freude bereitet.

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Portait Thomas Rauchenwald
Thomas Rauchenwald
Autor des Blogs „Simply Classic“

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