Die Zauberin Alcina bindet alle ihre Liebhaber mit Magie an sich. Sobald ihrer überdrüssig geworden, verwandelt sie diese in Tiere, Pflanzen und Steine. Sie verliert ihre Zauberkraft in dem Augenblick, als sie sich selbst verliebt – und muss nun selbst die Qualen der Liebe erfahren: Die ganze Bandbreite menschlicher Gefühle lotet Georg Friedrich Händel in seiner ALCINA, eine seiner besten, musikalisch reichsten Opern überhaupt, uraufgeführt am 16. April 1735 im Theatre Royal, Covent Garden, London, aus. Das Libretto zu diesem dramma per musica in drei Akten – nach Antonio Fanzaglias „LIisola d’Alcina“ – ist nach „Orlando“ und „Ariodante“ das dritte, das auf Ludovico Ariosts „Orlando furioso“ fußt.
Im MusikTheater an der Wien gab’s vor Weihnachten, am 19. Dezember 2024, noch eine konzertante Aufführung von diesem Meisterwerk Händels in einer überaus gelungenen Interpretation. Das Ensemble il Pomo d’Oro wird vom Cembalo aus von Francesco Corti geleitet, die enorme Dichte von Händels Partitur bringt er mit höchster Transparenz bei warmem, edlem Orchesterklang wunderbar zur Geltung. Sanfte Lyrik wird neben dramatischem Furor ausgekostet, das Orchester spielt präzise, akzentuiert, hervorzuheben die wunderbare, von Gabriele Pidoux gespielte Oboe, mit herrlich feinen Klangschattierungen.
In der Titelrolle begeistert Sopranistin Elsa Dreisig mit einer bewegenden Interpretation und glasklarer Stimme. Jede Arie wird vorzüglich gestaltet, die Emotionalität der einzelnen Nummern bringt sie gekonnt zum Ausdruck, ohne je schmachtend oder pathetisch zu wirken. Der betonte Fluss ihres Gesangs, die bruchlose Phrasierung und der schöne Gesangston runden dieses starke Rollenporträt ab, zum Höhepunkt des Abends gerät vor der Pause gewiss die ungewöhnlich lange Arie Alcinas („Ah! mio cor, schernito sei!“), worin sie die ganze Verletzlichkeit der Figur hörbar macht.
Doch auch die übrige Besetzung kann sich hören lassen: Die junge Mezzosopranistin Juliette Mey ist Ruggiero, ihr „Verdi prati“, wegen der berührenden Schlichtheit das berühmteste Stück der Oper, gerät vorzüglich. Daneben gefällt auch überaus Sopranistin Sandrine Piau als Morgana, ihre wegen der halsbrecherischen Koloraturen spektakulärste Arie der Oper „Tornami a vagheggiar“ gelingt beeindruckend.
Abgerundet wird der vom Publikum heftig akklamierte Abend durch die durchwegs überzeugenden, bisweilen sehr guten Gesangsleistungen von Altistin Jasmin White (Bradamante), Stefan Sbonnik (Oronte), Alex Rosen (Melisso) – und dem jungen männlichen Sopranisten Bruno de Sà, der nie in den Stimmbruch kam und in dessen Person wohl ein ganz außergewöhnlicher Sänger heranreift.