Eine Cello-Sternstunde und eine Märchenstunde im Wiener Musikverein

Gautier Capucon und Alain Altinoglu nach dem Cellokonzert von Edward Elgar im Wiener Musikverein © Thomas Rauchenwald

Im zweiten Konzert von Alain Altinoglu mit seinem hr-Sinfonieorchester Frankfurt beim Gastspiel im Wiener Musikverein ist ein – vorweihnachtliches – veritables „Zuckerlprogramm“ zu hören.

Nach einer auf schönen Orchesterwellen schwebenden „Une barque sur l’ocean“ in der Fassung für Orchester von Maurice Ravel zu Beginn des ersten Teiles vor der Pause steht als Hauptwerk des Konzertes am 17. Dezember im Großen Musikvereinssaal im zweiten Teil nach der Pause die beliebte „Sheherezade“. Symphonische Suite, op. 35, von Nikolai Rimskij-Korsakow auf dem Programm. Der Komponist ließ sich dazu von nicht untereinander verbundenen Episoden und Bildern aus den Geschichten „Tausendundeine Nacht“ inspirieren. Unter der farbenfrohen, mit großen Pinselstrichen gezogenen Leitung ihres Chefdirigenten entfaltet die Formation, die in der besten Tradition deutscher Rundfunk-Sinfonieorchester steht, all‘ ihre Vorzüge, wofür sie seit Jahrzehnten bekannt ist, nämlich akkurate, kräftige Streicher, eine famose Holzbläsergruppe, ausgezeichnete Bläser und ein betont starkes Schlagwerk bei exzellenter Spielkultur. Altinoglu macht die gelungene Interpretation des unproblematischen Stückes sichtbar Freude, das Publikum spendet lautstarken Beifall, Dirigent und Orchester bedanken sich mit einer stimmig gespielten Zugabe – „Clair de lune“ von Claude Debussy in einer Orchesterfassung.

Zum Höhepunkt des Konzertes gerät aber das zweite Werk im ersten Teil – das Konzert für Violoncello und Orchester, e-moll, op. 85, von Sir Edward Elgar. Immer, wenn dieses Werk gespielt wird, muss man an die leidenschaftliche, nahezu archaisch verzehrende Wiedergabe von Jacqueline du Prè in einem Konzert Ende November 1970 mit dem Philadelphia Orchestra unter Daniel Barenboim denken, welche noch auf Compact Disc verfügbar ist. Über die Wildheit dieser Cellistin verfügt er zwar nicht in seinem Spiel, der französische Cellist Gautier Capucon auf seinem wahrhaft edlen Instrument, dem Violoncello „L’Ambassadeur“ von Matteo Goffriler aus dem Jahr 1701, brilliert jedoch ungemein mit der Wiedergabe des großartigen Werkes an diesem Abend. Das Soloinstrument in diesem Stück spiegelt den Seelenzustand des Komponisten während der Entstehung des Werkes wieder – mit dem Ersten Weltkrieg hadernd, heimgesucht von Krankheit und finanzieller Not, zwischen Zärtlichkeit und Trauer changierend. Capucon geht hochemotional mit vibratoreichem, vollmundigen, ungemein starken Ton zur Sache, seine Interpretation gerät derart tiefschürfend, reich, bisweilen mit überwältigender Wirkung. Altinoglu unterstützt werkimmanent den Solisten mehr, als dass er mit dem Orchester in einen Wettstreit geht, die Kadenzen sind wie gemacht für einen Ausnahmecellisten unserer Tage wie Capucon. Nach heftigen Akklamationen bedanken sich die Ausführenden mit „Salut d’amour“ von Edward Elgar in der Fassung für Cello und Orchester als Zugabe.

Themenschwerpunkte
Portait Thomas Rauchenwald
Thomas Rauchenwald
Autor des Blogs „Simply Classic“

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert