Erstklassige Stimmen bei Gioacchino Rossinis „Guillaume Tell“ an der Wiener Staatsoper

Die Apfelschussszene in der Inszenierung von Sir David Pountney © Wiener Staatsoper / Michael Pöhn

1829 in Paris uraufgeführt, ist die vieraktige Grand opéra „Guillaume Tell“ die letzte Oper aus der Feder von Gioacchino Rossini. Ètiene de Jouy und Hippolyte Bis haben das Libretto nach dem gleichnamigen Schauspiel von Friedrich Schiller verfasst, wobei das Textbuch im Gegensatz zu den im Schauspiel vorherrschenden Diskussionen und moralischen Entwicklungen größeren Wert auf lyrische Situationen legt, in denen der Stillstand der Handlung die Entfaltung des Gesangs erlaubt.

Die Wiener Staatsoper hat nun für eine Aufführungsserie ihre Inszenierung des Stückes, welche am 24. Oktober 1998 zur Premiere gekommen war, wiederaufgenommen. Sir David Pountney hat Regie geführt, die Ausstattung stammt von Richard Hudson, und mag die Produktion auch in die Jahre gekommen sein, erweist sie sich als höchst werkdienlich wie überzeugend. Manche Szenen muss man sogar als besonders gelungen bezeichnen, etwa wenn sich der Pfeil Tells in Richtung des Apfels am Kopf seines Sohnes in Zeitlupe, von den Choristen weitergereicht, hinbewegt, die stimmige Lichtgestaltung (Robert Bryan) im Rütlischwur bzw. die besonders stimmigen Tableaux. Renato Zanellas Choreografie der Balletteinlagen passt auch heute noch sehr gut ins Gesamtbild, Personenregie- wie Personenführung sind solide. Die Inszenierung stellt das Stück jedenfalls überwiegend überzeugend auf die Bühne.

Was bei diesem Stück aber besonders wichtig ist, ist eine erlesene Sängerschar und darüber verfügt das Haus am Ring auch in der letzten Aufführung der Serie am 19. März 2024. Aus dem Ensemble besetzt und stimmlich überzeugend agieren Maria Nazarova (Jemmy), Monica Bohinec (Hedwige), Evgeny Solodovnikov (Melcthal), vor allem aber Iván Ayón Ryvas als Ruodi mit sehr gut geführtem, ausnehmend höhensicherem Tenor. Jean Teitgen gibt einen bassstarken Gesler. Roberto Frontali gestaltet mit warmem Bariton einen introvertierten, edlen Freiheitshelden in der Titelrolle, phonetisches Auftrumpfen ist seine Sache nicht. In der Rolle der Mathilde setzt Lisette Oropesa wunderbar lyrische Akzente mit ihrem silbrig leuchtenden, flutenden Sopran. Die Krone des Abends gebührt jedoch John Osborn in der halsbrecherischen Partie des Arnold, der stilistisch hervorragend, äußerst geschmackvoll phrasiert, auch über alle gefürchteten Höhen der Partie verfügt und das Publikum nicht nur mit der lyrischen Andantino-Arie zu Beginn des vierten Akts („Asile héréditaire“ mit der anschließenden, gefürchteten Cabaletta „Amis, amis, secondez ma vengeance“), die als eines der schwierigsten Tenor-Stücke des Repertoires gilt, zu lautstarker Begeisterung hinreißt.

Am Pult des gut aufgestellten Orchesters der Wiener Staatsoper setzt Bertrand de Billy, der bereits mit der auch häufig im Konzertsaal gespielten, beliebten Ouvertüre überzeugt, starke, gestalterische Akzente, ist den Sänger*innen ein hervorragender Begleiter und lässt Rossinis eigenem Brio freien Lauf, wo immer dies angebracht ist. Auffällig, wie fein sich Rossinis geschmeidig elegante Melodien unter seiner Stabführung entfalten können. Differenzierten Chorgesang steuert der von Martin Schebesta einstudierte Chor der Wiener Staatsoper bei. Insgesamt ein Abend, der Lust auf mehr Große Oper in Wien macht

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Portait Thomas Rauchenwald
Thomas Rauchenwald
Autor des Blogs „Simply Classic“

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