„Evviva Palestrina!“: Christian Thielemann und Michael Spyres triumphieren mit Hans Pfitzner an der Wiener Staatsoper

Michael Spyres als "Palestrina" © Michael Pöhn / Wiener Staatsoper

Pfitzner sah im Opern-Palestrina sein Alter-Ego!“, davon ist Christian Thielemann, Ehrenmitglied der Wiener Staatsoper überzeugt. Im Haus am Ring dirigiert der neue Generalmusikdirektor der Berliner Staatsoper Unter den Linden nun erstmals Hans Pfitzners hier lange nicht mehr gespielte dreiaktige, musikalische Legende PALESTRINA, wozu der Komponist auch den Text verfasst hat. Dieses Musiktheater, 1917 in München unter Bruno Walter uraufgeführt, wird vielfach für Pfitzners bedeutendste Schöpfung gehalten, in dem Werk kreisen sich die Gedanken um den Sinn der Kunst überhaupt, Entzückung, Rausch und Verzückung eines Komponisten wie das Geheimnis künstlerischer Erleuchtung. Wie von großen Dirigenten vergangener Tage – Joseph Keilberth, Rafael Kubelik, Wolfgang Sawallisch – wird das schöne Werk auch von Christian Thielemann hochgeschätzt, der es bereits in Produktionen in Nürnberg, London und Berlin dirigiert hat.

Und der Besuch der Aufführung am 8. Dezember 2024 lohnt auch über den Maßen. Pfitzners Partitur, deutlich von Richard Wagner beeinflusst und sich einer kunstvollen Leitmotivtechnik bedienend, ist beim Orchester der Wiener Staatsoper, das Thielemann jeden Wunsch von Augen und Händen abzulesen scheint, in den besten Händen, ja gibt es heute wohl kaum einen Dirigenten, der dieses durch und durch spätromantische Werk mit seiner ganzen prägnanten melodischen Kraft bis in alle Verästelungen besser auszuloten wüsste. Die drei Vorspiele, hin und wieder auch im Konzertsaal zu hören, gleichen an diesem Abend orchestralen Offenbarungen, die Sänger trägt Thielemann auf Händen, beschwört eine fast archaisierende Stimmung herauf, wenn er, wie er selbst erklärt, mit der in allen Instrumentengruppen blendend aufgestellten Formation im Graben gleichsam ein „Schaumbad in Moll“ nimmt, wie er selbst erklärt. Die an sich sehr herbe Tonsprache Pfitzners bekommt derart mehr als üblich an Gefälligkeit verliehen und das Publikum tut sich mit dem gleichsam für InterpretInnen wie ZuhörerInnen sehr fordernden Stück deutlich leichter als sonst. Subtile Sensibilität wie höchste dramatische Ausdruckskraft dominieren ein Dirigat wie aus dem Bilderbuch, man kann sich an Pfitzners weit geschwungenen Klängen gar nicht genug hören, an keinem einzigen Moment an diesem Abend kommt auch nur ansatzweise Langatmigkeit auf: Thielemanns Dirigat mit der in höchster Transparenz und farbiger Luzidität schimmernden, zukunftsweisenden Partitur Pfitzners, das ist ganz große Interpretationskunst.

Dass der Abend zum Triumph gerät, dafür sorgt auch eine erlesen Sängerschar. Plastisch homogen singt der Chor der Wiener Staatsoper, Thomas Lang hat bei der Choreinstudierung hervorragende Arbeit geleistet. Eine Luxusbesetzung stellt der mit balsamischer Bassstimme orgelnde Günter Groissböck in der kleinen Rolle von Papst Pius IV. dar und sind die Leistungen von Michael Nagy (Giovanni Morone), Michael Laurenz (Bernardo Novagerio), Wolfgang Bankl (Madruscht) und Matthäus Schmidlechner (Bischof von Budoja) als eindrucksvolle Charakterstudien gestalterischer Sangeskunst zu qualifizieren. Was die unzähligen kleinen Rollen betrifft, seien Michael Kraus (Kardinal von Lothringen), Adrian Eröd (Graf Luna) und Clemens Unterreiner (Ercole Severolus) herausgegriffen. Ighino ist mit Kathrin Zukowski schwächelnd, Silla mit Patricia Nolz sehr gut besetzt. Carlo Borromeo wird von Wolfgang Koch verkörpert, der mit seiner prägnanten, wortdeutlichen Gestaltung bedauerlicherweise in der Konfrontation mit Palestrina stimmlich wenig bedrohlich an diesem Abend zu agieren weiß, das hätte man sich kerniger gewünscht. Stimmlich über allen steht an diesem Abend jedoch der aus Missouri stammende, unter anderen auch am Konservatorium der Stadt Wien studierende Michael Spyres, der sich mit seiner herausragenden, schlichtweg ergreifenden Rollengestaltung in die besten Vertreter der Titelrolle wie Karl Erb, Julius Patzak, Max Lorenz, Fritz Wunderlich, Peter Schreier oder Nicolai Gedda einzureihen vermag. Bestens fokussiert, mit lyrischer Emphase und herrlichem Schmelz singt er den vielfach als Retter der Kirchenmusik gefeierten Komponisten und auch die Darstellung des einsamen, gebrochenen alten Mannes gelingt überzeugend. Ganz feine, leuchtende Höhen, beste Phrasierungskunst und vorbildliche Artikulation sind da ebenso zu vernehmen wie optimale Gesangslinien und eine perfekte Diktion. Fulminant gelingt ihm der heikle Schluss, sein Singen ist nie hart oder gepresst, auch nicht zu weich, immer angenehm timbriert, dem sanften Charakter der Rolle entsprechend. So funktioniert Sängerdarstellung, so soll es sein. Spyres und Thielemann werden am Schluss nach kurzweiligen viereinviertel Stunden Aufführungsdauer auch völlig zu Recht enthusiastisch vom Wiener Publikum gefeiert.

Zu sehen ist in dieser Wiederaufnahme die Inszenierung von Herbert Wernicke aus 1999, der auch Ausstattung und Licht kreiert hat. Diese Regiearbeit ist kein Wurf, funktioniert aber auch noch nach einem Vierteljahrhundert – von wieviel Inszenierungen kann man das schon behaupten? Personenführung und Personenregie sind werkgerecht, Wernicke beweist große Übersicht bei den Auftritten der vielen Menschen auf der Bühne. Der Regisseur vermag auch große Stimmung zu erzeugen, wenn zum Beispiel am Schluss mit dem Verlöschen der Lichter auf der Bühne auch Palestrina zu verlöschen scheint. Parallel-, Rahmen- oder Zusatzhandlungen bleiben ebenso wohltuend fern wie stückzerstörende Choreografien, die Inszenierung ist ganz aus der kostbaren Musik Pfitzners entwickelt. Das an einen Konzertsaal erinnernde Einheitsbühnenbild für alle drei Akte mag Geschmackssache sein, ist aber sowohl als Schola cantorum am päpstlichen Hof wie auch als Großraum für geistliche Dispute am Konzil geeignet: In solch‘ unaufdringlichem Rahmen lässt sich die herrliche Musik Pfitzners in dieser wunderbaren Wiedergabe Thielemanns umso mehr genießen.

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Portait Thomas Rauchenwald
Thomas Rauchenwald
Autor des Blogs „Simply Classic“

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