„Faust“ von Charles Gounod in der Pariser Metro

Piotr Beczala als "Faust" an der Wiener Staatsoper © Michael Pöhn / Wiener Staatsoper

Frank Castorf, einer der Regisseure, der es im Sprechtheater meist stark zu polarisieren versteht, widmet sich in seinen Arbeiten auch dem Musiktheater, die naturgemäß ebenso ambivalent vom Publikum aufgenommen werden, man denke an seinen Bayreuther „Ring“ oder an „Aus einem Totenhaus“ in München. So auch seine ursprünglich für die Staatsoper Stuttgart kreierte Inszenierung von „Faust“, der Opéra in fünf Akten mit der Musik von Charles Gounod und dem Text von Jules Barbier und Michel Carré, nach dem auf Johann Wolfgang Goethes „Faust I“ beruhenden Drame fantastique „Faust et Marguerite“ des zweitgenannten Librettisten.

Und auch in der zehnten Aufführung der nun auch an die Wiener Staatsoper übernommenen Inszenierung werden am Schluss des Abends am 29. Mai 2024 die mit Live-Kamera und Bildgestaltung die Videoregie von Martin Andersson umsetzenden Tobias Dusche und Daniel Keller vom Publikum mit Buhrufen bedacht. Das jedoch völlig zu Unrecht. Natürlich provoziert Castorf auch mit dieser Regie. Das Stück spielt bei ihm im Pariser Obdachlosenmilieu, in Substandardquartieren an der Metrostation „Stalingrad“, Siebel ist eine attraktive Frau, Marguerite, eine Gehilfin in einer Fleischerei, die sich nach der (Halb)Welt sehnt, wird von Mephistopheles mit einer Shoppingtüte geködert, damit Faust seine Sexsucht befriedigen kann und entscheidet am Ende selbst über ihr Leben, indem sie sich in einer Caféspelunke einen tödlichen Cocktail mixt. Aleksandar Denic´ hat Castorf dazu eine, für ihn typische, städtische, verwinkelte Bühnenlandschaft, wo man sogar die Silhouette der Notré Dame erkennen kann, auf die Drehbühne gewuchtet: Das Konstrukt ist nicht immer sängerInnenfreundlich, passt aber hervorragend in Castorfs desolates Konzept einer Liebesgeschichte. Castorf zertrümmert das Werk aber nicht, weil er es ernst nimmt, seine Sicht aus dem Text und der rauschhaft romantischen Musik heraus entwickelt. Angereichert wird diese in sich schlüssige, zwingende Inszenierung, der auch eine hervorragende Personenregie wie Personenführung zu attestieren ist, durch Gedichte der Lyriker Charles Baudelaire und Arthur Rimbaud. Castorfs Regiearbeit wird stimmig ergänzt von den gelungenen Kostümen von Adriana Braga Peretzki und dem überaus plastisch gehaltenen Licht von Lothar Baumgarte.

Musikalisch hat der Abend, wie an der Staatsoper gewohnt, hohes bis ausgezeichnetes musikalisches Niveau. Das sehr gut aufgestellte Orchester der Wiener Staatsoper musiziert unter der Leitung von Bertrand de Billy französisch timbriert elegant, geschmeidig, vor der Pause neigt der Dirigent etwas zum Schleppen und wäre, was die Lautstärke betrifft, weniger mitunter mehr gewesen. Nach der Pause steigert er sich aber zu rauschhaften, mit Drive ausgestattetem Musizieren, das in einem prächtig aufgebauten, hymnischen Werkschluss gipfelt. Der von Thomas Lang präparierte Chor der Wiener Staatsoper agiert prächtig, aus dem Ensemble ragen Patrizia Nolz als wunderbar timbrierter Siebel und Monika Bohinec als prägnante Marthe heraus, Jusung Gabriel Park als Wagner klingt solide, weniger überzeugend gerät das blasse Rollenporträt von Stefan Astakov als Valentin.

Die drei Hauptrollen überzeugen durch stimmlichen wie darstellerischen Totaleinsatz. Nicole Car als Marguerite steigert sich mehr und mehr im Laufe des Abends, ihr zu Beginn noch ein wenig verhalten klingender Sopran wird zunehmend intonationssicherer, klangschöner, brillanter. Adam Palka als Mephistopheles ist ein echter Basse chantante, geschmeidig auch in der Tiefe, mit schlankem, prächtig charismatischem Timbre. Die Krone des Abends gebührt aber Piotr Beczala in der Titelrolle, der sein herrliches Timbre betörend leuchten lässt und mit ungeheurem Schmelz anzureichern versteht, auch kräftig satte Tenorhöhen nicht vermissen lässt sowie durch seine hervorragende Phrasierung besticht. Derartig passioniertes Singen garantiert den Jubel des Publikums.

Themenschwerpunkte
Portait Thomas Rauchenwald
Thomas Rauchenwald
Autor des Blogs „Simply Classic“

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert